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Anke Graneß

Der Konsensbegriff

Ein Vergleich der Bedeutung des Konsensbegriffs in der Konsensethik von Kwasi Wiredu und der Diskursethik von Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas

 
English
Summary

The article tries to compare the term consensus as used by Kwasi Wiredu (Ghana) in his concept of an ethics of consensus with the usage of the same term by Karl-Otto Apel (Germany), founder of the so called ethics of discours (together with Jürgen Habermas). Whereas in Apels opinion consensus bases on rational argumentation and the recognition of the most convincing argument, Wiredu bases consensus on reconciliation and the will to keep harmony in the community. Even though both concepts are quite different (not only concerning the social and historical background, but their way of argumentation too), the discussion shows that they might be useful for each other.


Inhalt

Zwei Köpfe – ein Magen
Traditionelle politische Institutionen der Akan
Wiredus "Konsensethik"
Diskursethik
Ein Vergleich von Konsens- und Diskursethik



 Zwei Köpfe – ein Magen



Der Beitrag erschien zuerst in:

polylog: Austrian print edition
Nr. 2 (1998) zum Thema:
Kwasi Wiredus Konsensethik

1

  Das zentrale Bild, das Kwasi Wiredu zur Illustration seiner "Konsensethik" heranzieht entstammt einem Kunstmotiv der Akan. Dabei handelt es sich um zwei in ihrer Mitte verbundene Krokodile, deren Köpfe im Kampf miteinander verkeilt sind. Ein Sprichwort der Akan erläutert dieses Motiv so: "Obwohl sie einen Magen teilen, streiten sie um das Essen." Dieses Motiv versinnbildlicht für Wiredu die Auffassung der Akan, daß die gegensätzlichen menschlichen Interessen lediglich eine Erscheinung der Oberfläche sind. Im Grunde teilen alle Menschen die gleichen Interessen, so wie die beiden Krokodile einen Magen teilen. Und welcher Kopf das Essen auch erwischen und schlucken mag, es landet doch im selben Magen und dient somit der Erhaltung beider Krokodile. Im Gegensatz zu den Krokodilen, die nicht wissen können, daß sie einen Magen teilen, sind die Menschen jedoch in der Lage, durch rationale Diskussion bis zum Fundament gemeinsamer Interessen durchzudringen und somit Interessengegensätze zu überwinden.

2

  Auf dieser angenommenen Interessengemeinschaft aller Menschen beruht auch Wiredus Konzept einer Konsensethik. Sein Ansatz greift dabei nicht nur zur Illustration des Konzeptes auf traditionelle Motive der Akan zurück. Vielmehr geht es Wiredu darum, traditionelle afrikanische Wertvorstellungen und Entscheidungsfindungsverfahren bei der Erarbeitung einer modernen Ethik bewußt heranzuziehen, um an einheimische Strukturen anzuknüpfen und damit einen Beitrag zur strukturellen wie auch begrifflichen beziehungsweise "mentalen" Dekolonisation Afrikas zu leisten.



 Traditionelle politische Institutionen der Akan

Kwasi Wiredu:
Towards Decolonizing African Philosophy and Religion
external linkArtikel

3

  "Begriffliche Dekolonisation" bedeutet für Wiredu, die vom Kolonialismus und Neokolonialismus aufgezwungenen bzw. kritiklos übernommenen westlichen Sprachen, Wertvorstellungen, Institutionen etc. einer grundlegenden Kritik zu unterziehen und zu überprüfen, ob einheimische Sprachen, Wertvorstellungen und Institutionen nicht ebenfalls zur Gestaltung der Gegenwart herangezogen werden können bzw. sogar die adäquateren Lösungen anbieten. Gerade auf dem Gebiet der Sprache und hinsichtlich der Untersuchung philosophischer Begriffe wie Wahrheit, Sein oder Person hat Wiredu inzwischen schon wichtiges geleistet.  1  Ziel seiner ethischen Überlegungen ist es, einen Ausweg aus der Krise der afrikanischen Länder aufzuzeigen, die sich nicht nur in den gravierenden ökonomischen und politischen Problemen, sondern auch im zunehmenden Verfall von moralischen Wertvorstellungen, einer steigenden Kriminalität, einer Mentalität der Abhängigkeit von Entwicklungshilfe und einer generellen Orientierungslosigkeit, besonders der jungen Generationen, widerspiegelt.

»Try to think them through in your own African language and, on the basis of the results, review the intelligibility of the associated problems or the plausibility of the apparent solutions that have tempted you when you have pondered them in some metropolitan language.«

Kwasi Wiredu
(Anm. 1, 37)

4

  Die Ursachen der moralischen Krise liegen Wiredu zufolge vor allem in der unkritischen Übernahme westlicher politischer Systeme und den dazugehörigen Wertvorstellungen. Diese werden als den Bedingungen der künstlich entstandenen, multiethnischen afrikanischen Länder nicht adäquat, wie unter anderem der tribalistische Mißbrauch des Mehrparteiensystems oder die in vielen Ländern blühende Korruption zeigen, und zudem als selbst defizitär angesehen, wofür Politikverdrossenheit und geringe Wahlbeteiligung in den Industrieländern Anzeichen geben. Deshalb müsse dringend nach anderen, einheimischen Wegen zur Lösung der anstehenden Probleme gesucht werden. Aus diesem Grund knüpft Kwasi Wiredu in seinem Entwurf einer Ethik an die vorkolonialen politischen Institutionen und Entscheidungsfindungsverfahren der Akan und die ihnen zugrundeliegenden weltanschaulichen und moralischen Prinzipien an. Mithin macht Wiredu konkret geschichtlich gelebte bzw. in bestimmten Räumen bis heute erhaltene Institutionen und Verfahren zum Ausgangspunkt seiner ethischen Überlegungen. Bei deren Beschreibung beruft er sich neben einschlägigen ethnologischen Quellen  2  vor allem auf sein Wissen aus erster Hand als Mitglied dieses Volkes.

5

  Dies ist für europäische und amerikanische Philosophen und Philosophinnen wohl eher ein ungewöhnliches Herangehen, das aus den folgenden Gründen auf heftigen Widerspruch treffen wird: Einerseits werden ethnologische Materialien spätestens seit der Kritik des Poststrukturalismus und der "interpretativen Wende" in den Sozial- und Kulturwissenschaften, die die Verstehens- und Darstellungsproblematik einer gründlichen Analyse unterzog, als Formen objektiver Beschreibung des Anderen in Frage gestellt. Insofern ist zu fragen, ob derart unsicheres Material überhaupt zur Grundlage philosophischer Reflexion taugt. Naheliegender zweiter Grund ist der Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses, demzufolge von einem Sein nicht auf ein Sollen geschlossen werden kann. Es ist also grundsätzlich in Frage zu stellen, ob Entscheidungsfindungsverfahren einer Gemeinschaft, Wertvorstellungen, Prinzipien etc. dazu dienen können, eine Ethik zu entwerfen.



 Wiredus "Konsensethik"



Kwasi Wiredu:
"Demokratie und Konsensus in traditioneller afrikanischer Politik. Ein Plädoyer für parteilose Politik".
In dieser Nummer.
Artikel

6

  Bevor auf diese Einwände eingegangen wird, möchte ich jedoch Wiredus Ethikentwurf einer näheren Betrachtung unterziehen. Zunächst muß hervorgehoben werden, daß Wiredus Konzept einer "Konsensethik" nicht mit den Diskussionen um ein "ursprüngliches afrikanisches Konsensprinzip" verwechselt werden darf, die seit langem sowohl in der Ethnologie Afrikas als auch in der afrikanischen Philosophie eine Rolle spielen. Gerade die Ethnophilosophie betrachtet konsensuelle Entscheidungsfindungsverfahren verschiedener afrikanischer Gesellschaften, wie zum Beispiel das Palaver, als ein wesentliches Charakteristikum Afrikas bzw. des im Gegensatz zum individualistischen Europäer eher kommunalistisch orientierten Afrikaners.

7

  Unterschiede in den sozialen Strukturen und Wertvorstellungen auf beiden Kontinenten werden bei einem solchen Herangehen oft in den Rang einer ontologischen Differenz erhoben. So spricht z.B. der nigerianische Philosoph Frank Uyanne von der Existenz einer »afrikanischen kooperativen Ontologie« im Gegensatz zu einer »westlichen liberalen Ontologie«.  3  Der »afrikanischen kooperativen Ontologie« liege ein organisches Gesellschaftsverständnis zugrunde, in dem ein Individuum nicht unabhängig von seiner Zugehörigkeit zu seiner Familie verstanden werden könne. Der »westlichen liberalen Ontologie« dagegen scheint ein solches organisches Gesellschaftsverständnis zu fehlen.

»Die weiße Vernunft ist um der Nutzbarmachung willen analytisch, die Negervernunft ist aus Anteilnahme intuitiv.«

Leopold S. Senghor
(Négritude und Humanismus. Heidelberg 1967, 157)

8

  Ein derartiges ontologisierendes Herangehen an die Frage nach den Ursachen der unterschiedlichen Arten sozialer Organisation blendet die geschichtliche Gewordenheit der verschiedenen Formen menschlichen Zusammenlebens völlig aus und verfällt in eine unkritische, romantisierende Betrachtungsweise der vorkolonialen gesellschaftlichen Organisation.

9

  Unterschiede in den Regierungssystemen und Arten des Zusammenlebens lassen sich jedoch nicht durch unterschiedliche Seinsweisen erklären, sondern hängen vielmehr mit dem Grad der Ausdifferenzierung der jeweiligen Gesellschaft zusammen. Zudem wird die Auffassung von einer "afrikanischen Seinsweise" der Vielzahl unterschiedlicher Gesellschaftssysteme auf dem afrikanischen Kontinent überhaupt nicht gerecht, finden sich hier in Geschichte und Gegenwart doch die verschiedensten Gesellschaftsformen: von kommunalistischen Ackerbaugesellschaften und nomadischen Hirtenvölkern ohne zentrale Organisation über Stadtstaaten, Königreiche und muslimische Kalifate, die durchaus sehr zentralistisch angelegt und weit ausdifferenziert waren (Steuersysteme, Tributpflicht, administrative Untergliederungen, Provinzherrscher und zentrale Königsgestalten etc.) bis hin zu sozialistischen Versuchen und heute überwiegend kapitalistischer Marktwirtschaft. Eine abstrakte Gegenüberstellung Afrika – Westen (wie auch immer dieser Begriff zu verstehen ist – geographisch, kulturell, machtpolitisch, o.a.) muß zwangsläufig zu unzulässigen Reduktionen und Vereinfachungen führen, die weder der Heterogenität des afrikanischen Kontinents noch der westlichen Welt gerecht werden. Die daraus folgenden Kurzschlüsse führen zu stereotypen Bildern vom Anderen, die sich sehr leicht ideologisch instrumentalisieren lassen.

Kwasi Wiredu

10

  Wiredu nun führt in seinem Ansatz die konsensuellen Entscheidungsfindungsverfahren der Akan nicht auf ein bestimmtes Wesen der Akan zurück, sondern betrachtet sie als eine historische Form der vorkolonialen gesellschaftlichen Organisation, die sich in bestimmten Räumen bis heute erhalten hat. Eine Wiederbelebung der bzw. ein Rückgriff auf die politischen Organisation der Akan und der damit im Zusammenhang stehenden Formen der Entscheidungsfindung, sowie auf die ihnen zugrundeliegenden weltanschaulichen Prinzipien, und deren Anpassung an die Anforderungen der heutigen Situationen in den afrikanischen Ländern hält Wiredu, bei allen Schwierigkeiten, die eine solche Anpassung aufgrund der völlig anderen Verhältnisse im heutigen modernen, urbanisierten, industrialisierten postkolonialen Afrika mit sich bringt, aus folgenden Gründen für sinnvoll: Während das Modell der Mehrparteiendemokratie, wie sie in allen Ländern der westlichen Welt und, nach deren Vorbild, heute auch in fast allen afrikanischen Ländern zu finden ist, laut Wiredu vor allem dadurch gekennzeichnet ist, daß sich Interessengruppen in Parteien organisieren, und zwar mit dem Anspruch, die Macht in der jeweiligen Gesellschaft zu erlangen, gibt es im Unterschied dazu in der Konsensdemokratie der Akan keine Parteien. Die kleinste politische Einheit ist hier die Verwandtschaftslinie, die ein Oberhaupt ernennt, das die Interessen aller Angehörigen im Rat vertritt.  4 

11

  Das grundlegende Interesse, das alle Mitglieder der Gemeinschaft teilen, ist das Interesse an einer Wahrung der Harmonie der Gemeinschaft. Diese wird als Grundvoraussetzung für das Wohl und Glück aller und jedes einzelnen betrachtet. Aus diesem Grund ist ein Machtstreben einzelner Individuen oder Verwandtschaftslinien unbekannt. Vielmehr geht es im Interesse der Harmonie der Gemeinschaft darum, allen die Möglichkeit zu geben, ihre Interessen zu formulieren, um dann Lösungen zu finden, die alle gleichermaßen befriedigen. Widersprüche zwischen den Interessen einzelner bzw. zwischen Verwandtschaftslinien werden im Rat der jeweils betroffenen Gemeinschaft verhandelt. Im Gegensatz zur Mehrparteiendemokratie, wo Entscheidungen durch Abstimmung herbeigeführt werden, bei welcher derjenige Vorschlag zur allgemein verbindlichen Norm wird, der die meisten Stimmen bekommt, werden in den Ratsversammlungen der Akan alle Entscheidungen nur auf der Basis eines Konsens gefällt. Das bedeutet, daß alle Streitfragen solange diskutiert werden, bis alle Mitglieder des Rates eine bestimmte Lösungsmöglichkeit annehmen können. Ein so hergestellter Konsens auf der Grundlage der Zustimmung aller Beteiligten verhindert, daß Minderheiten von Entscheidungen ausgeschlossen werden, wie im Falle der Mehrparteiendemokratie, und sichert somit das Recht auf substantielle Interessenvertretung eines jeden Mitgliedes der Gemeinschaft. Eine Mehrparteiendemokratie erlaubt hingegen nur eine formale Vertretung der Interessen von Minderheiten, substantiell, d.h. so, daß sich ihre Interessen in der Entscheidung niederschlagen, können die Interessen von Minderheiten hier nicht vertreten werden.








»Versöhnung ist tatsächlich eine Form des Konsenses. Sie bedeutet die Wiederherstellung des guten Willens durch ein Überdenken der Bedeutung der ursprünglichen Streitpunkte.«

Kwasi Wiredu
(In dieser Nummer, 3)

12

  Interessant ist der von Wiredu verwendete Konsensbegriff. Konsens ist hier nicht, wie im allgemeinen Sprachgebrauch, im Sinne von Übereinstimmung oder gar Einstimmigkeit zu verstehen, sondern eher als Zustimmung. Bei der Herstellung eines Konsens geht es darum, Kompromisse hervorzubringen, die allen zustimmungswürdig erscheinen oder zumindest nicht als unzumutbar. Dies kann bedeuten, daß einzelne zwar nicht mit dem Vorschlag an sich einverstanden sind, diesem aber im Interesse der Möglichkeit eines gemeinsamen Handels bzw. der Wiederherstellung der Harmonie der Gemeinschaft zustimmen und ihn mittragen. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß alle Sichtweisen in angemessener Weise berücksichtigt werden.

13

  Sinn und motivierender Grund der Herstellung eines Konsens ist demnach nicht vorrangig eine abstrakte Gerechtigkeit gegenüber dem Einzelnen, sondern die "Versöhnung" gegensätzlicher Interessen zugunsten einer stabilen Gemeinschaft. Unter "Versöhnung" versteht Wiredu »die Wiederherstellung des guten Willens durch ein Überdenken der Bedeutung der ursprünglichen Streitpunkte. [...] Darüber hinaus kann dort, wo ein Wille zum Konsens ist, Dialog zu einem freiwilligen Aussetzen von Unstimmigkeiten führen, und dadurch gemeinsames Handeln ohne notwendigerweise übereinstimmende Vorstellungen ermöglichen«.  5  Eine Versöhnung widerstreitender Interessen hält Wiredu für grundsätzlich möglich, da den Menschen eine Art »freundliche Unvoreingenommenheit« (sympathetic impartiality) allen Vertretern ihrer Art gegenüber eigen ist. Diese könne zwar verloren gehen, aber dann ist ein gemeinsames Leben und Überleben nicht mehr möglich.  6  Das Interesse am Überleben zwinge somit immer wieder zur Versöhnung unterschiedlicher Interessen und zur Suche nach Gemeinsamkeiten. Deshalb schließt Wiredu: »In general, no rights can be justifiably superseded in a manner oblivious to the principle of sympathetic impartiality. If there is any absolute principle of human conduct, this is it.«  7 

»... the rational of a moral rule is the harmonization of the interests of the individual with the interests of others in society, and its motivation the sympathetic appreciation of those interests, a frame of mind which facilitates the mind's ability to contemplate with equanimity the possible abridgement of one's own interests in deference to the interests of others.«

Kwasi Wiredu
(Anm. 8)

14

  »Sympathetic impartiality« und die von Wiredu a priori gesetzte grundlegende Interessengemeinschaft aller Menschen, wie im Motiv der zwei Krokodile versinnbildlicht, sind in Wiredus Konzept die Grundlage moralischen Handelns überhaupt und üben zudem eine Art regulative Funktion aus, insofern sie als Orientierungsmaximen im Handeln dienen sollen.  8  Daß Wiredu den Begriff der "Versöhnung" in das Zentrum seines Ethikkonzeptes rückt, halte ich für eine sehr interessante Überlegung, die durchaus neue Perspektiven bei der Suche nach einer modernen Ethik zu eröffnen vermag.

15

  Ein aktuelles Beispiel für die Anwendung eines auf Versöhnung basierenden Herangehens ist ja die Einrichtung der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) in Südafrika im Jahre 1995, die auf der Grundlage des Gesetzes zur Förderung der nationalen Einheit und Versöhnung (Promotion of the National Unity and Reconcilation Act) Verbrechen gegen die Menschlichkeit zwischen dem 1. März 1960 und 10. Mai 1994 mit dem Ziel untersucht, eine nationale Versöhnung möglich zu machen. Ausgangspunkt für die Gründung der Kommission war die Überlegung, daß nur durch die Konfrontation mit der Vergangenheit eine staatliche Einheit und die Stabilisierung der Gesellschaft in der Gegenwart möglich werden. Die Kommission widmet sich der Aufdeckung der begangenen Verbrechen aller beteiligten Seiten und amnestiert jene Täter, deren Verbrechen politisch motiviert waren und die uneingeschränkt die Wahrheit über ihre Verbrechen gestehen. Opfer sollen nach Abschluß der Arbeit der Kommission Wiedergutmachungen erhalten.

16

  Das Herangehen der TRC stellt somit nicht die Bestrafung der Täter in den Mittelpunkt. Dies wäre aufgrund der komplexen Situation, die alle Seiten sowohl zu Tätern wie auch zu Opfern machte, nicht sinnvoll und dem Anliegen einer nationalen Versöhnung auch eher abträglich. Es geht vielmehr darum, ein großes Bild der Vergangenheit mit allen Facetten zu zeichnen und eine Vielzahl von Wahrheiten zusammenzutragen, um diese zur Grundlage eines gemeinsamen Gedächtnisses und einer gemeinsamen Verantwortung für die Geschichte Südafrikas zu machen, die für die Einheit der Nation und die Versöhnung so dringend gebraucht wird.  9 



 Diskursethik



Jürgen Habermas



Steve Robinson:
The Jürgen Habermas Web Resource
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17

  Ein Ethikentwurf, der ebenfalls den Konsensbegriff zu einer Grundsäule seiner Theorie macht, ist die Diskursethik von Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas. Bei der Diskursethik haben wir es mit einem völlig anderen Theoriengebäude zu tun als im Falle der Konsensethik Kwasi Wiredus. Schon das Herangehen an den Entwurf einer Ethik ist, obwohl ebenfalls von Krisenerscheinungen der heutigen Welt motiviert, sehr verschieden. Die auf dem Erbe der Transzendentalphilosophie und des linguistic turn der 60er Jahre beruhende Diskursethik gründet ihren Ansatz nicht auf ethnologische Untersuchungen oder traditionelle Arten der Entscheidungsfindung, sondern auf die Ergebnisse der Sprachanalyse und der Argumentationstheorie.  10 

18

  Sie geht davon aus, daß eine universal gültige Ethik, und der Entwurf einer solchen ist ihr erklärtes Ziel, aufgrund der Pluralität der Lebensformen nicht auf inhaltlich bestimmten Vorstellungen von einem guten Leben gründen kann. Universal gültige Normen, die unser gemeinsames Überleben garantieren und den Glücksansprüchen des einzelnen gerecht werden, können vielmehr nur in einem transsubjektiven, offenen, herrschaftsfreien und gewaltlosen Diskurs gefunden werden, dessen Ergebnisse auf dem Konsens aller Betroffenen bzw. in letzter Instanz einer unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft beruhen müssen. Solche Diskurse benötigen ein formales Regelwerk für das Argumentieren, das allen die gleichen Chancen der Partizipation zusichert. Die Diskursethik hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein solches Regelwerk und seine Begründung zu schaffen.

»Jede gültige Norm muß der Bedingung genügen, daß die Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen jedes einzelnen voraussichtlich ergeben, von allen Betroffenen zwanglos akzeptiert werden können.«

Jürgen Habermas
(Anm. 13)

19

  Die Theoretiker der Diskursethik gehen nun nicht nur davon aus, daß »die Begründung von Normen und Geboten die Durchführung eines realen Diskurses verlangt«, sondern auch, daß »normative Geltungsansprüche einen kognitiven Sinn haben und wie Wahrheitsansprüche behandelt werden können«.  11  Oder wie Habermas an anderer Stelle betont: »Normative Richtigkeit begreife ich als wahrheitsanalogen Geltungsanspruch. In diesem Sinne sprechen wir von einer kognitivistischen Ethik.«  12  D.h., ein in einem im Idealfall herrschaftsfreien und gewaltlosen praktischen Diskurs, in dem einzig das bessere Argument zählt, hergestellter Konsens aller empirisch Betroffenen muß nicht nur die Interessen der Betroffenen berücksichtigen (wie im Universalisierungsgrundsatz der Diskursethik gefordert  13 ) und deren gemeinsames Handeln möglich machen, sondern soll zugleich eine neue Einsichtsbasis mit intersubjektiver Gültigkeit repräsentieren. Diese kognitivistische Ausrichtung der Diskursethik soll sowohl ein Abschieben ethischer Normen und Verantwortung in den Bereich subjektiver Beliebigkeit verhindern, als auch das Kriterium für eine universale Verallgemeinerung moralischer Norm darstellen.

20

  Dem Konsens wird durch die kognitivistische Ausrichtung eine ganz andere Bedeutung gegeben als im Konzept der Konsensethik Wiredus. Soll eine durch den Konsens der Diskursteilnehmer getragene Norm analog zu einer wahren Aussage behandelt werden, dann kann Konsens hier nur die völlige Übereinstimmung der Ansichten aller Diskursteilnehmer bezüglich dieser Norm bedeuten, da das Ziel darin besteht, zu neuen Vernunfteinsichten zu gelangen. Dies führt zu einer Dynamik, in der ein Zustimmungskonsens nicht mehr ausreicht. Zustimmung, um gemeinsames Handeln zu ermöglichen oder die Harmonie der Gemeinschaft wiederherzustellen, bei gleichzeitiger Beibehaltung der eigenen Ansichten, kann das Kriterium intersubjektiver Gültigkeit nicht erfüllen.

21

  Deshalb verlangen die von der Diskursethik geforderten Diskurse tiefgreifendere Eingriffe und Veränderungen als die von Wiredu beschriebenen Beratungen. Sie erfordern die Bereitschaft, eigene Ansichten zugunsten neuer Einsichten aufzugeben. Dies ist nach Apel und Habermas kein gewaltsamer Akt. Vielmehr veranlaßt das überzeugendste, wohl meist auf neuestem Expertenwissen beruhende Argument jeden Diskursteilnehmer dazu, die jeweilige neue Einsicht zu seinem Standpunkt zu machen. Die Diskurse der Diskursethik dienen somit nicht bloß der kompromißhaften Schlichtung konfligierender Interessen, wie im Falle der Akan, sondern »der argumentativen Aufarbeitung der zugrundeliegenden Wertdifferenzen bis hin zur Diskussion über 'wahre Interessen'«.  14 

Karl-Otto Apel



Sic et Non:
Dialog mit Karl-Otto Apel
external linkInterview

22

  Den Diskursethikern ist natürlich klar, daß sowohl die Herstellung einer Diskurssituation von wirklicher Offenheit, Herrschaftsfreiheit und Gewaltlosigkeit, wie auch die einer auf dem Konsens aller Betroffenen beruhenden intersubjektiv gültigen Norm, ein Ideal ist und betrachten diese eher als regulative Idee. Aus diesem Grund muß innerhalb der Diskursethik zwischen verschiedenen Konsenstypen unterschieden werden, »nämlich der faktische Konsens einer Lebensform ('common sense'), der Konsens praktischer Diskurse über Gerechtigkeits- und Wertfragen und schließlich die regulative Idee eines metahistorischen universalen Konsenses aller Vernunftwesen«.  15  Faktische Konsense, die immer nur eine vorläufige Realisierung der regulativen Idee eines universalen Konsens bleiben, können den Anspruch universaler Gültigkeit bzw. die Richtigkeit moralischer Urteile noch nicht verbürgen.  16  Die Bedeutung faktischer Konsense und ihr Verhältnis zur regulativen Idee eines universalen Konsens wird dann von Apel im geschichtsbezogenen Teil B seiner Diskursethik weiter expliziert.

23

  Wird von den Diskursethikern auch eingeräumt, daß ein universaler Konsens über normative Fragen keine lebensweltliche Realität sein kann und ihm deshalb die Funktion einer regulativen Idee zugeordnet, erscheint mir auch diese regulative Idee, gerade aufgrund ihres Anspruchs auf Übereinstimmung der Einsichten, als nicht unproblematisch. Denn zum einen dürfte es die Pluralität von Weltanschauungen, Wertvorstellungen und Vorstellungen vom guten Leben unmöglich machen, in praktisch-moralischen Diskursen einen intersubjektiv gültigen Konsens zu finden, außer möglicherweise in ganz grundlegenden Fragen, die das Überleben der Menschheit als ganzes betreffen. Hier stellt sich also die Frage, worin dann der Sinn der Suche nach einem universalen Konsens, wie ihn die Diskursethik beschreibt, liegen soll. Ist der Versuch der Harmonisierung von Interessengegensätzen ohne Anspruch auf eine grundlegende Veränderung der Einsichtsbasis da nicht sinnvoller? Und zum anderen würde ein solcher Konsens in letzter Konsequenz die Aufhebung jeglicher weltanschaulicher Pluralität und in der Folge auch jeglicher kultureller Pluralität bedeuten, geht doch jede weltanschauliche Veränderung mit der Veränderung lebensweltlicher Realitäten einher bzw. ist doch jede tiefgreifende weltanschauliche Veränderung nicht nur mittels Aufklärung zu erreichen, sondern nur durch eine wesentliche Veränderung der lebensweltlichen Umstände (politisches und ökonomisches System etc.)

24

  Gerade die Konsequenzen dieser kognitivistischen Ausrichtung geben für nicht-europäische Philosophen zu der Befürchtung Anlaß, daß sich in der Diskursethik ein Hegemonieanspruch der westlichen liberalen Demokratie versteckt, der alle anderen Formen menschlichen Zusammenlebens abwertet. Ich denke, daß weder Apel, der grundlegende Wertdifferenzen argumentativ aufarbeiten möchte bis hin zur Diskussion über »wahre Interessen« (siehe oben), noch Habermas der Konsequenz entgehen können, daß die Umsetzung des diskursethischen Projekts letztlich die Einführung einer säkularisierten, liberal-demokratischen Gesellschaft erfordert.



 Ein Vergleich von Konsens- und Diskursethik

»There are as many truths as there are points of view.«

Kwasi Wiredu
(Anm. 17)

25

  Konsens als Zustimmung zu einem gemeinsamen Handeln im Interesse des Wohls der Gemeinschaft anzustreben, ohne ihm die grundlegende Veränderung von Weltanschauungen vorauszusetzen bzw. mit einem Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit in Verbindung zu bringen  17 , halte ich aus diesem Grund nicht nur für realistischer, sondern auch im Interesse des Überlebens der Vielfalt der Gemeinschaften und Individuen für wünschenswerter. Realistischer ist er wohl deshalb, da es einfacher ist, eine Zustimmung zu einem Beschluß oder einer Norm zu erlangen als weltanschauliche Veränderungen zu veranlassen. Unterschiedliche Gründe können ja zur Zustimmung zu einer Norm oder einer Entscheidung führen. So wird z.B. der von beiden Ethikentwürfen geforderte Imperativ, alle Betroffenen sollen an einem praktischen Diskurs teilnehmen, sehr unterschiedlich begründet. Die Diskursethik fordert eine solche Norm aufgrund ihres Anspruchs auf intersubjektive Gültigkeit ethischer Normen ein. Wiredu begründet ihn mit der Notwendigkeit der Herstellung von Harmonie in der Gemeinschaft durch die Versöhnung unterschiedlicher Interessen. Mir scheint, daß in Wiredus Konzept der Sinn der Herstellung von Konsensen, nämlich ein harmonisches Zusammenleben der Gemeinschaft zum Wohle aller, deutlicher expliziert wird als in der Diskursethik, die in ihrer sehr sprachanalytisch geprägten Ausarbeitung rationaler Argumentationsregeln Sinn und Ziel moralischer Diskurse mitunter etwas aus den Augen verliert.  18 

»Mir scheint, daß keine dieser beiden Tendenzen der 'Demokratie' ihrem inneren Wesen nach 'westlich' oder 'afrikanisch' ist, und daß die beste Form der Demokratie diejenige ist, die die zentripetalen und zentrifugalen politischen Kräfte ihrer Konstituenten miteinander so zum Ausgleich bringt, daß jede Tendenz in ihrem vitalsten élan erhalten bleibt.«

Emmanuel Chukwudi Eze
(In dieser Nummer, 33)

26

  Natürlich darf bei einem solchen Vergleich, der hier nur sehr kursorisch erfolgen kann und beiden Projekten in dieser Kürze sicherlich nicht gerecht wird, nicht vergessen werden, daß beide Ethikentwürfe unterschiedliche Zielstellungen verfolgen. Während es das Ziel der Diskursethik ist, eine universalgültige Ethik zu schaffen, versteht Wiredu seinen Versuch vor allem als Beitrag zur Lösung der moralischen Krise in den afrikanischen Ländern und erhebt keinen Anspruch auf universale Gültigkeit seines Konsensprinzips. Allerdings betont er, daß das von ihm beschriebene Konsensprinzip nicht nur innerafrikanische ethnische und nationalistische Grenzen überwinden kann, sondern auch als Anregung für den nicht-afrikanischen Raum verstanden werden sollte.

27

  Wenn mir auch der auf Versöhnung gerichtete Konsensbegriff Wiredus als der praktikablere erscheint, sehe ich hier ebenfalls verschiedene Schwachpunkte. Zunächst halte ich seine vereinfachende Gegenüberstellung von westlicher Mehrparteiendemokratie und Konsensdemokratie der Akan für zu wenig differenziert. Eine genauere Beschreibung der verschiedenen Konzepte von Mehrparteiendemokratien in Europa oder Amerika scheint mir, wenn das Mehrparteiensystem schon als Gegenbeispiel zur Konsensdemokratie dienen soll, als dringend notwendig und kann einer detaillierteren Ausarbeitung der Konsensethik auch nur gut tun.

28

  Die entscheidende Schwäche der Konsensethik liegt meiner Meinung nach darin, daß Wiredu weder klärt, was unter der "Harmonie der Gemeinschaft" noch unter den "grundlegenden gemeinsamen Interessen der Menschen" zu verstehen ist. Ist die "Harmonie" der motivierende Grund und das "grundlegende gemeinsame Interesse" die Basis für die Konsensherstellung, muß doch gefragt werden, was "Harmonie" und "gemeinsames Interesse" bedeuten, wer die Kriterien dafür festlegt und in welchem Verhältnis die Interessen des einzelnen und der Gemeinschaft hier stehen. Schließlich kann jedes Individuum ein unterschiedliches Verständnis von "Harmonie" und vor allem davon haben, was als "gemeinsames Interesse" betrachtet werden sollte. Was sind also die "gemeinsamen Interessen der Menschen"? Ist es das ganz grundlegende Interesse am Überleben? Und wenn, wie kann dieses Überleben definiert werden? Als das nackte Überleben mittels eines Minimums an Nahrung, Kleidung, einem Dach über den Kopf? Sind diese Interessen qualitativ noch näher bestimmt? Gehören zu den grundlegenden Interessen auch Freiheit und Autonomie des einzelnen?

»Sollte nicht vielleicht lieber genauer untersucht werden, ob westliche Theorien mit dem Anspruch auf universale Gültigkeit nichts anderes sind als universalisierte kulturelle Partikularitäten?«

29

  Und es bleibt natürlich die Frage, ob eine Konsensethik, die auf Mehrheitsentscheidungen verzichtet, ebenso wie eine Diskursethik, nicht eine Art der Entscheidungsfindung bevorzugen, die letztlich nur auf zahlenmäßig sehr kleine Gemeinwesen anwendbar ist, da das Einholen der Meinung aller Betroffenen und die Diskussion aller Standpunkte einfach zuviel Zeit beanspruchen und die Handlungsfähigkeit blockieren würden.

30

  Abschließend eine Bemerkung zum Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses bzw. zur Unsicherheit ethnologischen Materials als Grundlage philosophischer Reflexion. Ich denke, es wird anhand von Wiredus Konzept deutlich, daß ein solcher Vorwurf kurzschlüssig ist. Ein naturalistischer Fehlschluß kann Wiredu meiner Meinung nach deshalb nicht unterstellt werden, da er nicht direkt aus der konsensuellen Form der Entscheidungsfindung der Akan auf die Norm "Du sollst Entscheidungen per Konsensus herbeiführen" schließt. Vielmehr werden noch die Sollens-Instanzen der "Harmonie der Gemeinschaft" und der "substantiellen Willensvertretung" eingeführt. So hat die eben formulierte Norm nur im Kontext mit den Normen "Du sollst für Harmonie in der Gemeinschaft sorgen" und "Du sollst eine substantielle Willensvertretung garantieren" Sinn und Bedeutung. Daß die Akan Entscheidungen per Konsensus herbeigeführt haben, ist also nicht die Grundlage der Konsensethik, sondern eher der Ausgangspunkt der Überlegungen.

31

  Wird ihm nun das Hinzuziehen ethnologischen Materials zum Vorwurf gemacht, sollte nicht vergessen werden, daß die in der Diskursethik bzw. anderen westlichen Ethiken formulierten Normen und Prinzipien ebenfalls immer in engstem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Realitäten ihrer jeweiligen Kontexte und den dortigen Bedürfnissen stehen und von diesen motiviert und inspiriert werden. Diese Tatsache wird oft vergessen, da der europäische Kontext unserer Theorien als normaler Ausgangspunkt selten mit in die Reflexionen einbezogen wird. Dies zeugt meiner Meinung nach von einem entscheidenden Mangel an Reflexion. Theorien anderer kultureller Kontexte, die ihren Kontext thematisieren und damit einen wesentlich bewußteren Umgang mit den Voraussetzungen ihrer Reflexion beweisen, wird gerade dies jedoch oft zum Vorwurf gemacht. Sollte da nicht vielleicht lieber genauer untersucht werden, ob westliche Theorien mit dem Anspruch auf universale Gültigkeit nichts anderes sind als universalisierte kulturelle Partikularitäten?

Anke Graneß
studierte Philosophie, Soziologie und Afrikanistik in Leipzig und Wien.

32

  Allerdings ist es natürlich richtig, einen sehr kritischen Umgang mit den ethnologischen Quellen einzufordern, dem Wiredu leider auch nur annähernd gerecht wird. Mir scheint der Vorwurf, ein Herangehen, das explizit den gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund thematisiert, sei unphilosophisch, eher auf Vorurteile gegenüber den Werten, Institutionen und Weltanschauungen anderer Kulturen hinzuweisen, die als traditionell, d.h., für unsere moderne Zeit als nicht mehr relevant abgewertet werden, als auf theoretische Schwächen der Konsensethik. Solche Vorwürfe bringen es allerdings mit sich, daß philosophische Überlegungen, die kulturelle Kontexte explizit zum Ausgangspunkt nehmen, in den Bereich der Ethnologie bzw. Regionalwissenschaften (in diesem Falle der Afrikanistik) abgeschoben werden. Eine solche Behandlung würde Wiredus Ethik wohl kaum gerecht werden. Vielmehr enthält sein Konzept, wie mein Beitrag vielleicht zeigen konnte, Ansatzpunkte wie den Versöhnungsbegriff, die auch hinsichtlich ethischer Überlegungen hier in Europa und nicht zuletzt für das Projekt einer universalen Ethik aufgenommen und weitergedacht werden können.


Anmerkungen


 1   

Kwasi Wiredu (1996): Cultural Universals and Particulars. An African Perspective. Bloomington – Indianapolis: Indiana University Press; s. besonders die Artikel im Teil III: "Conceptual Contrasts" (81-153). 

 2   

M. Fortes / E.E. Evans-Pritchard (Hg.) (1940): African Political Systems. Oxford: Oxford University Press.
K.A. Busia (1951): The Position of the Chief in the Modern Political System of the Ashanti. London: Frank Cass.
W.E. Abraham (1962): The Mind of Africa. Chicago: University of Chicago Press. 

 3   

Frank U. Uyanne (1996): "Theorie und Praxis der Demokratie. Eine interkulturelle Betrachtungsweise". In: Heinz Kimmerle (Hg.): Das Multiversum der Kulturen. Amsterdam – Atlanta: Rodopi, 159. 

 4   

Die nähere Explikation der politischen Organisation der Akan ist sowohl in der unter Anm. 2 angegebenen ethnologischen Literatur als auch bei Wiredu selbst nachzulesen: Kwasi Wiredu (2000): "Demokratie und Konsensus in traditioneller afrikanischer Politik. Ein Plädoyer für parteilose Politik." In dieser Nummer. 

 5   

A.a.O., 3

 6   

Kwasi Wiredu (1996), 41. 

 7   

A.a.O., 170. 

 8   

A.a.O., 64. 

 9   

Interessant ist hier, daß neben dem christlichen Verständnis von Versöhnung auch Konzepte wie das sogenannte Ubuntu-Konzept Eingang in die Arbeit der Kommission gefunden haben. Ubuntu ist der Begriff, der gemeinhin zur Bezeichnung der Weltanschauung bzw. traditionellen Auffassungen der Zulu verwendet wird. Wichtigstes Grundprinzip soll auch hier die Erhaltung oder Wiederherstellung der Harmonie der Gemeinschaft sein. 

 10   

Die Grundlagen der Diskursethik können u.a. nachgelesen werden bei:
Jürgen Habermas (1984): Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Karl-Otto Apel (1973): "Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft". In: ders: Transformation der Philosophie, Bd. 2, Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Karl-Otto Apel (1992): Diskurs und Verantwortung. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Hans Schelkshorn (1997): Diskurs und Befreiung. Studien zur philosophischen Ethik von Karl-Otto Apel und Enrique Dussel. Amsterdam und Atlanta: Rodopi. 

 11   

Jürgen Habermas (1984), 78. 

 12   

Jürgen Habermas (1986): "Moralität und Sittlichkeit. Treffen Hegels Einwände gegen Kant auch auf die Diskursethik zu?" In: W. Kuhlmann (Hg.): Moralität und Sittlichkeit. Das Problem Hegels und die Diskursethik. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 17. 

 13   

Jürgen Habermas (1984), 75f. 

 14   

Hans Schelkshorn (1997), 111. 

 15   

A.a.O., 112. 

 16   

A.a.O., 111. 

 17   

Daß Wiredus Ethikansatz nichtkognitivistisch ausgerichtet ist, hängt wesentlich mit seinem eher utilitaristisch ausgerichteten Wahrheitskonzept zusammen. (Vgl. dazu: Kwasi Wiredu (1980): Philosophy and an Afircan Culture. Cambridge: Cambridge University Press, 111ff.) Wiredu definiert Wahrheit in seinem eigenen Theoriengebäude als Meinung: »truth as opinion« und behauptet: »There are as many truths as there are points of view« (A.a.O., 115.). Dies ist jedoch nicht als ein relativistischer Standpunkt zu verstehen. Wahrheit wird von Wiredu eher im Sinne von funktioneller Machbarkeit verstanden. Der entscheidende Faktor für den Beweis der Wahrheit ist der Erfolg einer Handlung. Zudem ist die individuelle Meinung keine willkürliche Laune, sondern rational begründet. Aufgrund dessen erhalten die individuellen Meinungen, Bedürfnisse und Vorlieben den Charakter der Objektivität, den Status der Wahrheit und werden allgemein bewertbar.
Vgl. auch:
Christian Neugebauer (1989): Einführung in die afrikanische Philosophie. München – Kinshasa – Libreville: African University Studies, 257.
Dismas A. Masolo (1992): "History and the Modernization of African Philosophy. A Reading of Kwasi Wiredu". In: Herta Nagl-Docekal / Franz M. Wimmer (Hg.): Postkoloniales Philosophieren: Afrika. Wien – München: Oldenbourg, 65-100.
Aber auch das Wahrheitsverständnis der Akan scheint eine Anbindung normativer Sätze an den Wahrheitsbegriff nicht möglich zu machen. (Vgl. dazu: Kwasi Wiredu (1996), 105ff.) 

 18   

Vgl. dazu auch Wiredus Kritik an der Kantischen Ethik: Kwasi Wiredu (1996), 65ff. 



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