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Einleitung
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Wir sind unmittelbare Beobachter einer jeden Grausamkeit; wir sitzen in unseren Wohnzimmern und betrachten die ermordeten Kinder, die verzweifelten Flüchtlinge. Vielleicht werden immer noch furchtbare Verbrechen an dunklen Orten begangen, aber nicht viele. Der heutige Schrecken ist bestens ausgeleuchtet. Deshalb wird eine Frage akut, die niemals zuvor gestellt wurde – jedenfalls niemals dermaßen dringlich und unausweichlich: Wo liegt unsere Verantwortung? Was sollen wir tun?
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Durch Menschen hervorgebrachte Desaster haben nichts Neues an sich. Wir waren einander gewiss immer schon die schlimmsten Feinde, wenn wir uns nicht selbst zu Feinden wurden. Von den Assyrern im alten Israel und den Römern in Karthago zu den Belgiern im Kongo und den Türken in Armenien – die Geschichte ist eine blutige und barbarische Mär. Dennoch war das 20. Jahrhundert ein Zeitalter der Innovation: zunächst und am wichtigsten bezüglich der Art, wie Desaster geplant und organisiert, schließlich dahingehend, wie sie öffentlich gemacht wurden. Ich möchte mit der zweiten Innovation beginnen, einem Produkt außergewöhnlicher Beschleunigung sowohl der Reisetätigkeit als der Kommunikation. Es mag zwar möglich sein, Menschen in großem Ausmaß effizienter denn je zu töten, aber es ist viel schwieriger geworden, dies im Geheimen zu tun. In der gegenwärtigen Welt gibt es wenig, das weit weg, außerhalb unseres Blickfelds oder hinter verschlossenen Türen passiert; die Kameraleute sind zumeist noch vor Ort, bevor die Totenstarre einsetzt. Wir sind unmittelbare Beobachter einer jeden Grausamkeit; wir sitzen in unseren Wohnzimmern und betrachten die ermordeten Kinder, die verzweifelten Flüchtlinge. Vielleicht werden immer noch furchtbare Verbrechen an dunklen Orten begangen, aber nicht viele. Der heutige Schrecken ist bestens ausgeleuchtet. Deshalb wird eine Frage akut, die niemals zuvor gestellt wurde – jedenfalls niemals dermaßen dringlich und unausweichlich: Wo liegt unsere Verantwortung? Was sollen wir tun?
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Früher war die »humanitäre Intervention« eine Doktrin für Juristen, sie bahnte einen Weg, um eine begrenzte Zahl von Ausnahmen der Prinzipien der nationalen Souveränität und der territorialen Integrität zu rechtfertigen (vgl. etwa Hall 1904, 289ff). Es ist eine gute Doktrin, denn Ausnahmen sind immer notwendig und Prinzipien niemals absolut. Doch müssen wir sie heute überdenken, da die Ausnahmen immer mehr zur Regel werden. Akte der Barbarei, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen – und die gemäß den Lehrbüchern aus dem 19. Jahrhundert eine humanitäre Intervention rechtfertigen – sind in unseren Tagen wahrscheinlich nicht häufiger als in der Vergangenheit, aber sie sind schockierender, weil wir stärker von ihnen betroffen sind. Die Fälle mehren sich in der Welt und damit auch in den Medien: Somalia, Bosnien, Ruanda, Osttimor, Liberia, Sierra Leone, Kosovo, und das sind nur die Fälle der letzten Dekade. Der Kosovo hat die rezenten politischen Debatten dominiert, aber er bezeichnet nicht den aufschlussreichsten Fall. Ich möchte ein wenig zurücktreten, eine breite Palette von Beispielen präsentieren und vier Fragen zu humanitären Interventionen zu beantworten versuchen: (1) Was sind ihre Anlässe? (2) Welche Akteure sind gewünscht? (3) Wie sollten sich die Akteure verhalten, um den Anlässen gerecht zu werden? (4) Wann ist es Zeit, eine Intervention zu beenden?
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Occasions
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Die Anlässe müssen extrem sein, wenn sie die Anwendung von Gewalt über internationale Grenzen hinweg rechtfertigen und vielleicht sogar erzwingen sollen. Nicht jede Verletzung der Menschenrechte bietet eine Rechtfertigung. Die gewöhnliche Brutalität autoritärer Politik, die alltägliche Unterdrückung durch traditionale Gesellschaftsbräuche – dies sind keine Anlässe für Interventionen; sie müssen lokal durch jene Leute bewältigt werden, die die Politik kennen und sich solchen Bräuchen widersetzen. Die Tatsache, dass diese Leute nicht in der Lage sind, einfach und schnell Brutalität und Unterdrückung zu unterbinden, ist kein hinreichender Grund für Fremde, in ihr Land einzumarschieren. Fremde Politiker und Soldaten sind allzu anfällig dafür, die Situation zu missdeuten oder die für einen Machtwechsel nötige Gewalt zu unterschätzen oder auch eine »patriotische« Reaktion in Verteidigung der brutalen Politik und der unterdrückenden Bräuche zu beschwören. Sozialer Wandel wird am besten von innen herbeigeführt.
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Die Anlässe müssen extrem sein, wenn sie die Anwendung von Gewalt über internationale Grenzen hinweg rechtfertigen und vielleicht sogar erzwingen sollen. Nicht jede Verletzung der Menschenrechte bietet eine Rechtfertigung. Die gewöhnliche Brutalität autoritärer Politik, die alltägliche Unterdrückung durch traditionale Gesellschaftsbräuche – dies sind keine Anlässe für Interventionen; sie müssen lokal durch jene Leute bewältigt werden, die die Politik kennen und sich solchen Bräuchen widersetzen.
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Auf diesem Punkt möchte ich beharren. Ich will nämlich gerade kein Kontinuum beschreiben, das bei gewöhnlicher Gemeinheit beginnt und beim Genozid aufhört, sondern vielmehr einen radikalen Bruch, eine tiefe Kluft andeuten, mit Gemeinheit auf der einen und Genozid auf der anderen Seite. Wir sollten uns nicht erlauben, den Genozid graduell zu bestimmen. Dennoch können wir auf dieser Seite der Kluft ein Kontinuum von Brutalität und Unterdrückung vermerken, und irgendwo in diesem Kontinuum gibt es einen Punkt, der eine internationale Reaktion (in Ermangelung militärischer Gewalt) erforderlich macht. So sind etwa diplomatischer Druck und ökonomische Sanktionen wirksame Mittel im Umgang mit tyrannischen Regime. Die Sanktionen können von einer frei gebildeten Koalition interessierter Staaten verhängt werden. Vielleicht sollten wir auch in Richtung einer stärker etablierten regionalen oder globalen Autorität hinarbeiten, welche die Verhängung von Sanktionen regulieren und dabei die Schwere der Sanktionen auf die Schwere der Unterdrückung abstimmen könnte. Doch sind dies immer noch externe Handlungen, die darauf abzielen, eine interne Reaktion anzuregen, ohne sie freilich vorwegzunehmen. Diese Handlungen schätzen den Wert der Innenpolitik hoch und halten ihre Möglichkeiten offen. Die interessierten Staaten sowie die regionalen oder globalen Autoritäten üben ihren Druck an der Grenze aus; und dann warten sie darauf, was auf der anderen Seite der Grenze passiert.
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Aber wenn die »ethnische Säuberung« einer Provinz oder eines Landes oder ein systematisches Massaker einer religiösen oder nationalen Gemeinschaft vonstatten gehen, scheint es unmöglich zu sein, auf die lokale Antwort zu warten. Nun befinden wir uns auf der anderen Seite der Kluft. Zu viel steht auf dem Spiel, das Leiden ist bereits zu groß. Vielleicht vermögen die direkt betroffenen Leute nicht selbst zu handeln, vielleicht ist auch der Wille zu handeln unter den Mitbürgerinnen und Mitbürgern gering ausgeprägt. Die Opfer sind schwach und verwundbar; ihre Feinde sind grausam, die Nachbarn indifferent. Der Rest von uns sieht zu und steht unter Schock. Das ist genau der Anlass für eine Intervention.
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Wir werden natürlich jeden einzelnen Fall durchargumentieren müssen, aber die von mir aufgestellte Liste scheint ziemlich offensichtlich zu sein. Heutzutage wird die eingreifende Armee behaupten, die Menschenrechte durchzusetzen, und das ist eine plausible und völlig verständliche Behauptung für jeden der Fälle auf meiner Liste (oder sie wäre es, denn nicht immer wurden Interventionen durchgeführt). Ich denke, wir sind am besten mit einer starren und minimalistischen Version der Menschenrechte bedient: Leben und Freiheit müssen auf dem Spiel stehen. Bezüglich dieser beiden Menschenrechte ist die juristische Sprache bereits vorhanden und hinreichend verbreitet auf der ganzen Welt. Trotzdem können wir ebenso gut sagen, dass das, was durchgesetzt wird und durchgesetzt werden soll, schlichtweg der Anstand verlangt.
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Selbst mit einem minimalistischen Verständnis der Menschenrechte, selbst mit einer Verpflichtung auf nicht mehr als den Anstand, gibt es in der Praxis mehr Anlässe für Interventionen als tatsächliche Interventionen. Wenn die Unterdrücker übermächtig sind, werden sie nur selten herausgefordert, wie schockierend auch immer die Unterdrückung sein mag. Diese augenscheinlich wahre Beobachtung der internationalen Gemeinschaft wird häufig als ein Argument gegen tatsächlich stattfindende Interventionen vorgebracht. Kritiker halten »humanitären« Politikern und Soldaten entgegen, dass es heuchlerisch sei, in diesem Fall einzugreifen, wo sie doch in jenem nicht interveniert hätten – so als ob sich die UNO um der moralischen Konsistenz willen aus Osttimor raushalten sollte, weil sie sich geweigert hatte, China aufgrund von Tibet herauszufordern. 2 Aber Konsistenz spielt hier gar keine Rolle. Wir können nicht bei allen Anlässen zur Stelle sein; zu Recht kalkulieren wir das Risiko von Fall zu Fall. Wir müssen uns fragen, wie hoch die Kosten der Intervention für die zu rettenden Leute sowie für die Retter und für alle anderen zu veranschlagen sind. Und dann können wir auch nur das tun … was wir eben tun können.
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Eine Intervention ist eindeutig begründbar, doch bis heute ist vollkommen unklar, wie sie unternommen werden sollte.
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Die Standardfälle besitzen eine Standardform: Eine Regierung, eine Armee, eine Polizeieinheit greift ihr eigenes Volk oder eine Untergruppe, etwa eine leicht verletzbare Minderheit, welche territorial über das Land verstreut ist, an. (Wir könnten diese Angriffe als Beispiele für Staatsterrorismus nehmen und dann gewaltsame humanitäre Interventionen wie die NATO-Kampagne im Kosovo im Lichte eines »Kriegs gegen den Terror« avant la lettre begreifen. Aber diesen Argumentationsgang werde ich hier nicht weiter verfolgen.) Der Angriff findet innerhalb der Landesgrenzen statt; er bedarf keiner Grenzüberschreitungen, denn der Angriff beruht auf der Ausübung von souveräner Macht im Inneren. Es gibt keine Aggression, keine Eroberungsarmee muss zurückgeschlagen werden. Ganz im Gegenteil sind die zur Rettung eilenden Einheiten die Eindringlinge; sie sind diejenigen, die im strengen Sinn des Völkerrechts den Krieg überhaupt beginnen. Doch betreten sie die Szene erst, wenn der moralische Einsatz auf dem Tisch liegt: Die Unterdrücker, oder besser: die staatlichen Akteure der Unterdrückung sind leicht zu identifizieren, ihre Opfer deutlich sichtbar.
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Doch selbst die Liste, mit der ich begonnen habe, weist Fälle auf, die vom Standard abweichen – Sierra Leone ist das offensichtlichste Beispiel –, weil der Staatsapparat nicht der Übeltäter ist. Die Administration der Brutalität ist hier dezentralisiert, anarchisch und fast schon zufällig. Die intervenierenden Kräfte müssen sich nicht um die Macht der Unterdrücker, sondern um die Strukturlosigkeit der Unterdrückung sorgen. Über solche Fälle werde ich nicht viel zu sagen haben. Eine Intervention ist eindeutig begründbar, doch bis heute ist vollkommen unklar, wie sie unternommen werden sollte. Vielleicht kann nicht viel mehr getan werden, als was die Nigerianer in Sierra Leone taten: Sie reduzierten die Zahl der Tötungen und das Ausmaß der Barbarei.
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Akteure
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Macht es einen Unterschied, ob die Akteure alleine gehandelt haben?
Ist es relevant, dass ihre Motive nicht vollständig (oder sogar nicht hauptsächlich) altruistisch waren?
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»Wie können nur tun … was wir eben tun können«: Wen bezeichnet dieses »Wir«? Die Kosovodebatte war auf die USA, die NATO und die UNO als Akteure der militärischen Intervention fokussiert (zu all diesen Argumenten vgl. Buckley 2000). Tatsächlich sind diese drei politischen Kollektive handlungsfähig, doch sind sie bei weitem nicht die einzigen. Wegen ihrer Bereitschaft, unilateral vorzugehen, und wegen ihrer angenommenen imperialen Ambitionen rufen die USA und die NATO den Verdacht jener Leute auf den Plan, die »Idealisten« genannt werden; aufgrund ihrer politischen Schwäche und militärischen Ineffektivität stehen der UNO wiederum jene skeptisch gegenüber, die man »Realisten« nennt. Diese Argumente sind überdeterminiert, weswegen ich mich ihnen nicht anschließen werde. Wir werden das Problem der Handlungsfähigkeit eher begreifen, wenn wir mit anderen Akteuren ansetzen. Die erfolgreichsten Interventionen der letzten dreißig Jahre waren Kriegshandlungen durch Nachbarstaaten: Vietnam in Kambodscha, Indien in Ost-Pakistan (heute Bangladesch), Tansania in Uganda. Diese Beispiele sind wirkungsvoll, um unsere Ideen über Interventionen zu überprüfen, weil sie durch keine äußeren Umstände wie die neue Weltordnung eingerahmt werden; sie verlangen von uns nicht, Lenins Theorie des Imperialismus oder sonst irgendeine Theorie zu konsultieren. In jedem dieser Fälle gab es furchtbare Handlungen, die gestoppt werden mussten, und Akteure, denen dies mehr oder weniger gut gelungen ist. Deswegen sollten wir diese Fälle heranziehen, um zwei Fragen aufzuwerfen, die für gewöhnlich von den Kritikern des Kosovokriegs gestellt werden: Macht es einen Unterschied, ob die Akteure alleine gehandelt haben? Ist es relevant, dass ihre Motive nicht vollständig (oder sogar nicht hauptsächlich) altruistisch waren?
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In der Geschichte humanitärer Interventionen ist Unilateralismus weit häufiger als das Gegenteil. Ein Grund dafür ist offenkundig: das starke Widerstreben der meisten Staaten, die Verfügungsgewalt über ihre Armeen an eine Organisation abzugeben, die sie nicht kontrollieren. Doch Unilateralismus mag auch dem Bedürfnis entspringen, unmittelbar auf »Akte, die schockieren,« zu reagieren. Stellen wir uns einen Fall vor, wo die »Empörung« nicht durch menschliche Missetaten hervorgerufen wird: Ein Feuer bricht in einem Nachbarhaus in einer neuen Stadt aus, die noch keine Feuerwehr besitzt. Es würde nicht viel Sinn ergeben, den Nachbarschaftsverein zusammenzutrommeln, während das Haus brennt, und darüber abzustimmen, ob man nun helfen sollte oder nicht; und es würde sogar noch weniger Sinn ergeben, gegen die Hilfe der drei reichsten Familien in der Nachbarschaft ein Veto einzulegen. Ich denke nicht, dass der Fall so anders liegen würde, wenn statt des Feuers ein brutaler Ehemann wüten würde, und keine Polizei zur Stelle ist, um in der Nacht zur Hilfe zu eilen. Auch hier ist der Nachbarschaftsverein nur wenig sinnvoll. In Fällen wie diesen sollte jeder helfen, der dazu in der Lage ist. Und das klingt auch wie eine plausible Maxime für humanitäre Interventionen: Wer dazu in der Lage ist, sollte es tun!
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Das klingt wie eine plausible Maxime für humanitäre Interventionen: Wer dazu in der Lage ist, sollte es tun!
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Doch stellen wir uns nun einen Nachbarschaftsorganisation oder eine internationale Organisation vor, die für den Fall eines Feuers oder eines Schreis in der Nacht oder eines Massenmordes vorausgeplant hat. Dann gäbe es bestimmte Leute oder speziell rekrutierte Militärs, die während der Krise abdelegiert werden könnten; und die Definition einer »Krise« könnte – so gut es geht – im Voraus in genau solch einem Treffen besprochen werden, das im Moment, wenn unmittelbares Handeln notwendig ist, dermaßen unplausibel und moralisch unangebracht wirkt. Die Person, die in meinem ersten Beispiel in das Nachbarshaus stürmt, und die politischen oder militärischen Kommandanten eindringender Truppen im internationalen Fall würden immer noch auf der Grundlage ihres eigenen Verständnisses der Ereignisse, wie sie sich vor ihren Augen abspielen, sowie auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretation der Verantwortung, die ihnen übertragen wurde, handeln. Doch nun handeln sie unter bestimmten Bedingungen und können sich auf die Hilfe jener berufen, in deren Namen sie handeln. Diese Form wird eine multilaterale Intervention höchstwahrscheinlich annehmen, sollte die UNO jemals noch vor einer besonderen Krise eine Autorisierung erteilen. Und dieses Vorgehen scheint den Multilateralismus gegenüber den verschiedenen unilateralen Alternativen attraktiver zu machen, denn es beinhaltet eine Art von vorgängiger Warnung, eine abgestimmte Beschreibung für Interventionsanlässe sowie die Aussicht auf überwältigende Truppenstärke.
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Aber ist das multilaterale Vorgehen tatsächlich in der heutigen Situation vorzuziehen, mit der UNO in ihrer aktuellen Gestalt? Was Polizeikräfte im Inneren einer Gesellschaft effektiv macht, sofern sie effektiv sind, ist sowohl ihre Verpflichtung gegenüber der Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger, aus der sie sich rekrutieren, als auch das relative Vertrauen, das die Bürgerinnen und Bürger dieser Verpflichtung entgegenbringen. Doch die Generalversammlung und der Sicherheitsrat der UNO beweisen bisher in ungenügendem Maß diese Verpflichtung, und es kann heute auch nur wenige Leute auf dieser Welt geben, die ihr Leben bereitwillig in die Hände der UNO-Polizei übergeben. Deshalb treten in jedem meiner Beispiele die unilateralen Rechte und Verpflichtungen sofort wieder in Kraft, sobald die von der UNO autorisierten Akteure oder ihre Entsprechungen in der Innenpolitik sich dagegen entscheiden, einzugreifen, während das Feuer noch brennt, die Schreie noch gehört werden können und das Morden weitergeht. Kollektive Entscheidungen, zu handeln, mögen zu Recht unilaterales Handeln übertrumpfen, aber kollektive Entscheidungen, nicht zu handeln, haben nicht dieselbe Wirkung. In diesem Sinn ist der Unilateralismus die vorherrschende Reaktion, wenn das gewöhnliche Gewissen unter Schock steht. Wenn es keine kollektive Reaktion gibt, kann jeder reagieren. Wenn niemand handelt, dann handle du!
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Im Fall von Kambodscha, Ost-Pakistan und Uganda gab es keine vorhergehenden Arrangements und keine autorisierten Akteure. Wären der UNO-Sicherheitsrat oder die Generalversammlung einberufen worden, hätten sie mit Sicherheit gegen die Intervention gestimmt, wahrscheinlich mit Mehrheitsbeschluss, jedenfalls aufgrund des Widerstands einer Großmacht. Deswegen hätte jeder unilateral handeln müssen, der die Killing Fields der Roten Khmer stilllegen wollte, oder die Flut der Bengalischen Flüchtlinge einzubremsen und Idi Amins Schlachten zu stoppen beabsichtigte. Alles hing von der Entscheidung eines einzelnen Staates ab.
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Kollektive Entscheidungen, zu handeln, mögen zu Recht unilaterales Handeln übertrumpfen, aber kollektive Entscheidungen, nicht zu handeln, haben nicht dieselbe Wirkung. In diesem Sinn ist der Unilateralismus die vorherrschende Reaktion, wenn das gewöhnliche Gewissen unter Schock steht. Wenn es keine kollektive Reaktion gibt, kann jeder reagieren. Wenn niemand handelt, dann handle du!
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Haben die einzelnen Akteure ein Recht oder aber die Pflicht zu handeln? Ich habe zwar beide Worte benutzt, aber sie passen nicht immer zusammen: So kann es Rechte geben, wo es keine Pflichten gibt. Innergesellschaftlich gibt es etwa den Fall des »guten Samariters«. Dieser Fall besagt, dass Passanten auf den verletzten Fremden am Straßenrand oder den Schrei eines in einem See ertrinkenden Kindes reagieren müssen; dennoch müssen sie nicht ihr Leben riskieren (vgl. die hilfreichen Aufsätze in Radcliffe 1966). Sofern die Risiken klar sind, haben sie ein Recht zu reagieren. Zu reagieren ist gewiss eine gute Sache und möglicherweise das einzig Richtige. Dennoch ist niemand dazu moralisch verpflichtet. Militärische Interventionen über internationale Grenzen hinweg bürden den eingreifenden Truppen jedoch immer Risiken auf. Vielleicht gibt es hier also auch keine Verpflichtung, vielleicht gibt es ein Recht zu intervenieren, aber zugleich auch ein Recht, die Risiken nicht auf sich nehmen zu wollen und Neutralität beizubehalten – selbst gegenüber Mördern und ihren Opfern. Oder vielleicht ist die humanitäre Intervention auch ein Beispiel für das, was Philosophen eine »unvollkommene« Pflicht nennen: Jemand sollte den Schrecken beenden, aber es ist nicht möglich, diesen Jemand mit einem Eigennamen zu versehen und mit einem Finger auf einen besonderen Staat zu zeigen. Dem Problem einer unvollkommenen Pflicht kommt man am besten mit einer multilateralen Lösung bei; wir teilen ganz einfach mittels eines weithin akzeptierten Entscheidungsverfahrens im Vornherein Verantwortung zu.
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Vielleicht sind diese Beschreibungen dennoch zu schwach: Ich neige dazu, zu behaupten, dass eine Intervention mehr als ein Recht und mehr als eine unvollkommene Pflicht ist (vgl. Statman 1996). Schließlich steht das Überleben des eingreifenden Staates nicht auf dem Spiel. Und warum sollte die Verpflichtung nicht einfach auf den fähigsten, den nächsten oder den stärksten Staat übergehen, wie dies schon meine Maxime andeutet: Wer dazu in der Lage ist, sollte es tun! Ein Nichteingreifen angesichts Massenmordes und ethnischer Säuberungen ist nicht dasselbe wie Neutralität in Kriegszeiten. Die moralischen Dringlichkeiten sind grundverschieden; Normalerweise sind uns die Konsequenzen eines Krieges unbekannt, aber wir wissen über die Konsequenzen eines Massakers sehr wohl Bescheid. Wenn wir der Logik des Arguments so weit folgen, wird es trotzdem notwendig sein, Freiwillige für eine humanitäre Intervention zu gewinnen; nur der Staat kann und soll das tun, nicht eine einzelne Frau oder ein einzelner Mann; für Individuen bleibt die Pflicht unvollkommen. Wenn sie entscheiden, ob sie freiwillig teilnehmen wollen, können sie sich demselben Test unterziehen – Wer dazu in der Lage ist, sollte es tun! –, aber die Entscheidung ist immer noch ihre.
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Ein reiner moralischer Wille existiert im politischen Leben nicht, und es sollte nicht erforderlich sein, diese Art von Reinheit vorzutäuschen. Die Staatslenker haben das Recht und tatsächlich auch die Pflicht, die Interessen ihrer eigenen Völker einzubeziehen, selbst wenn sie anderen Leuten zur Hilfe eilen.
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Die Dominanz, die ich dem Unilateralismus zugeschrieben habe, kann und wird für gewöhnlich aus Angst vor den Motiven von eigenständig handelnden Staaten in Frage gestellt. Werden diese nicht eher in ihrem eigenen Interesse als im Interesse der Menschheit handeln? Ja, das werden sie wahrscheinlich tun, oder besser: sie werden sowohl in ihrem eigenen Interesse als auch im Interesse der Menschheit agieren. Ich denke nicht, dass es besonders aufschlussreich ist, ganz einfach zynisch zu behaupten, diese weiter ausgreifenden Interessen würden überhaupt nicht schlagend werden. (Gewiss ist das Gleichgewicht zwischen Interesse und Moral bei Interventionisten nicht anders als bei Nicht-Interventionisten.) Wie aber wäre der Menschheit durch multilaterale Entscheidungsfindung besser gedient? Würde nicht jeder Staat, der am Entscheidungsprozess teilnimmt, ebenso in seinem eigenen Interesse handeln? Dann würde das Ergebnis durch die Verhandlungen zwischen Interessensgruppen bestimmt – und die Menschheit wäre offensichtlich keine solche Gruppe. Wir mögen hoffen, dass sich die Einzelinteressen gegenseitig ausschalten und eine Art von Allgemeininteresse hervorbringen (dies ist Rousseaus Erklärung dafür, wie die Bürger zu einem »Allgemeinwillen« gelangen; vgl. Rouseau 1996, Buch II, Kap. 3). Genauso ist es jedoch möglich, dass die Verhandlungen nur eine Vermengung von Einzelinteressen widerspiegeln, welche für die Menschheit sowohl besser als auch schlechter als die Interessen eines einzelnen Akteurs sein kann. Politische Motivationen sind jedenfalls immer heterogen, egal ob es mehrere Akteure gibt oder bloß einen. Ein reiner moralischer Wille existiert im politischen Leben nicht, und es sollte nicht erforderlich sein, diese Art von Reinheit vorzutäuschen. Die Staatslenker haben das Recht und tatsächlich auch die Pflicht, die Interessen ihrer eigenen Völker einzubeziehen, selbst wenn sie anderen Leuten zur Hilfe eilen. Deswegen können wir annehmen, dass Indien in seinem eigenen Interesse handelte, als es die Sezession Ost-Pakistans unterstützte, und dass Tansania in seinem eigenen Interesse handelte, als es seine Truppen in Idi Amins Uganda einmarschieren ließ. Dennoch dienten diese Interventionen auch humanitären Zwecken und waren vermutlich auch so gedacht. Die Opfer von Katastrophen, die von Menschenhand herbeigeführt wurden, haben großes Glück, wenn ein Nachbarstaat oder eine Koalition von Staaten mehr als nur einen Grund anführen können, um sie zu retten. Es wäre töricht, diese Vielfalt als moralisch unrein zu verwerfen. Sofern die Intervention über ihre notwendigen Schranken wegen eines »anderweitigen« Motivs ausgedehnt wird, sollte sie freilich einer Kritik unterzogen werden. Innerhalb dieser Schranken sind uneinheitliche Motive von praktischem Vorteil.
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Mittel
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Wie sollten die Akteure vorgehen, wenn sie schon handeln? Eine humanitäre Intervention beinhaltet die Anwendung von Gewalt, und es ist ausschlaggebend für ihren Erfolg, dass sie mit Gewalt vollzogen wird. Das Ziel ist die Niederlage jener Leute, wer auch immer sie sein mögen, die Massaker und ethnische Säuberungen veranstalten. Wenn das, was passiert, schlimm genug ist, um den Einmarsch zu rechtfertigen, dann ist es auch schlimm genug, um das Erringen des militärischen Sieges zu rechtfertigen. Doch diese einfache Überlegung hat noch nicht Eingang in die internationale Gemeinschaft gefunden. Am klarsten wurde dies im Fall Bosniens, wo wiederholt Versuche unternommen wurden, die Katastrophe zu mildern, ohne gegen die Täter vorzugehen. Gewalt wurde als »letzter« Ausweg vorgestellt, aber während eines fortlaufenden Konflikts tritt dieser »letzte« Moment niemals ein; man muss immer noch etwas tun, bevor man das tut, was zuletzt ansteht. Deshalb wurden Militärbeobachter nach Bosnien geschickt, um über das Geschehen zu berichten; UNO-Truppen leisteten den Opfern humanitäre Hilfe und gewährten den Helfern einen gewissen Grad an militärischem Schutz; schließlich versuchten sie (vergeblich), wenige Schutzzonen für die Bosnier einzurichten. Wenn aber Soldaten nur diese Dinge machen, stellen sie kein Hindernis für weitere Tötungen dar. Eventuell unterstützen sie diese im Hintergrund sogar (dieses Argument stammt von Rieff 1996). Sie bewachen Straßen, verteidigen Ärzte und Krankenschwestern, liefern medizinische Versorgung und Nahrung für eine wachsende Zahl von Opfern und Flüchtlingen – deren Zahl größer und größer wird. Manchmal ist es hilfreich, Soldaten als »Peace-Keeper« zwischen die Mörder und ihre Opfer platzieren. Obwohl das für einige Zeit gut gehen kann, verringert es nicht die Zahl der Mörder, und deshalb ist es ein Rezept für eine spätere Zeit. Friedenswahrung ist eine noble Handlung, aber nicht dann, wenn es noch keinen Frieden gibt. Zuweilen ist es leider besser, Krieg zu führen.
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Hier gelten dieselben Regeln wie in jedem Krieg: Nichtbewaffnete sind von jedem direkten Angriff auszunehmen und müssen so weit wie möglich vor »Kollateralschäden« bewahrt werden; Soldaten müssen Risiken auf sich nehmen, um zu vermeiden, dass die Zivilbevölkerung von Risiken belastet wird.
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In Kambodscha, Ost-Pakistan und Uganda wurden die Interventionen am Boden ausgetragen. Dies war Kriegsführung der alten Schule. Der Kosovokrieg basierte auf einem alternativen Modell: ein Krieg, der mit Hilfe von Technologien aus der Luft geführt wird, welche das Risiko von Verlusten für die eingreifende Armee (beinahe gegen Null) minimierten. Ich kann mich hier nicht damit aufhalten, ausführlich jene Gründe für dieses alternative Modell zu diskutieren, die mit der zunehmenden Unfähigkeit moderner Demokratien zusammenhängen, ihre rekrutierten Armeen so einzusetzen, dass Soldaten einem Risiko ausgesetzt werden. Heutzutage gibt es in demokratischen Staaten keine »niederen Stände«, keine unsichtbaren, entbehrlichen Bürger mehr, und solange die Gemeinschaft selbst nicht eindeutig bedroht wird, findet sich selbst bei den Eliten bloß eine geringe Bereitschaft, Opfer zugunsten einer globalen Rechtsordnung oder gar zugunsten der Ruander und Kosovaren zu erbringen. Aber die Unfähigkeit und der Unwille, woher auch immer sie kommen mögen, erzeugen moralische Probleme. Ein Krieg, der nur aus der Luft und aus der Ferne geführt wird, kann wahrscheinlich gar nicht gewonnen werden, ohne zivile Ziele anzugreifen. Das können anstelle von Wohnvierteln auch Brücken und Fernsehstationen, Elektrizitätsgeneratoren und Wasserreinigungsanlagen sein, doch die Angriffe werden nichtsdestotrotz das Leben von unschuldigen Männern, Frauen und Kindern gefährden. Das Ziel besteht darin, Druck auf eine Regierung auszuüben, die sich gegenüber einer Minderheit von Bürgern barbarisch verhält, indem man der Mehrheit, gegenüber der sich die Regierung vermutlich verpflichtet fühlt, droht, ihr Schaden zuzufügen, oder dies tatsächlich tut. Diese Strategie hätte offensichtlich nicht gegen die Roten Khmer funktioniert, aber sie ist wahrscheinlich auch dann illegitim, wenn sie gut geht – solange es die Möglichkeit einer präziseren Intervention gegen jene Truppen gibt, die sich an barbarischen Handlungen beteiligen. Hier gelten dieselben Regeln wie in jedem Krieg: Nichtbewaffnete sind von jedem direkten Angriff auszunehmen und müssen so weit wie möglich vor »Kollateralschäden« bewahrt werden; Soldaten müssen Risiken auf sich nehmen, um zu vermeiden, dass die Zivilbevölkerung von Risiken belastet wird.
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Jedes Land, das eine militärische Intervention erwägt, würde offenkundig Technologien verwenden, die risikofrei für seine Soldaten sind, und diese Vorgangsweise wäre vollkommen gerechtfertigt, wenn dieselben Technologien für die Zivilisten ebenso risikofrei wären. Genau dieses Argument wird zugunsten von »klugen Bomben« vorgebracht: Sie können (sicher) aus großer Distanz abgeworfen werden und verfehlen nie ihr Ziel. Doch dieses Argument ist, zumindest bis heute, stark überzogen. Noch ist keine technologische Zielangabe möglich, weshalb man eine einfache Wahrheit nicht leugnen kann: Vom Standpunkt der Gerechtigkeit besehen kann man in kein Land einmarschieren, mit all den Konsequenzen, die sich darauf für das andere Volk ergeben, und zugleich darauf bestehen, dass die eigenen Soldaten keinem Risiko ausgesetzt werden. Sobald die Intervention begonnen hat, ist es moralisch geboten, sofern es noch nicht militärisch notwendig ist, am Boden zu kämpfen – um schneller zu gewinnen und viele Menschenleben zu retten oder um einige besonders barbarische Reaktionen auf die Intervention zu unterbinden.
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Das ist das moralische Argument gegen risikolose Interventionen. Es gibt aber auch ein Klugheitsargument. Interventionen werden nur selten erfolgreich sein, solange der Wille, zu kämpfen und Verluste einzustecken, nicht sichtbar wird. Im Fall des Kosovo ist es unwahrscheinlich, dass Bombardements überhaupt notwendig gewesen wären, wenn die NATO-Armee in Sichtweite gewesen wäre, noch bevor das Bombardement Serbiens begonnen hatte; auch hätte es dann die Flut von verzweifelten und verbitterten Flüchtlingen niemals gegeben. Der Nachkriegskosovo würde sehr anders aussehen; die Aufgaben der Polizei und der Wiederaufbau wären einfacher, als sie es tatsächlich gewesen sind; die Chancen auf Erfolg wären viel größer.
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Bendigungen
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Wann ist es Zeit, nach Hause zu gehen? Soll die Armee nur versuchen, die Tötungen zu beenden, oder soll sie die militärischen und paramilitärischen Kräfte zerstören, die jene Tötungen begehen, oder soll sie das Regime, das sich dieser Kräfte bedient, ersetzen, oder aber die Anführer des Regimes bestrafen? Ist eine Intervention nur ein Krieg oder auch eine Besatzung?
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Stellen wir uns eine intervenierende Armee vor, die sich voll einsetzt: Wie soll sie den Sieg verstehen, den sie zu erreichen sucht? Wann ist es Zeit, nach Hause zu gehen? Soll die Armee nur versuchen, die Tötungen zu beenden, oder soll sie die militärischen und paramilitärischen Kräfte zerstören, die jene Tötungen begehen, oder soll sie das Regime, das sich dieser Kräfte bedient, ersetzen, oder aber die Anführer des Regimes bestrafen? Ist eine Intervention nur ein Krieg oder auch eine Besatzung? Diese Fragen sind knifflig, und ich möchte meine Antwort mit dem Hinweis beginnen, dass ich sie zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich beantwortet habe.
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Diejenige Antwort, die am besten zur ursprünglich juristischen Doktrin der humanitären Intervention passt und die ich in Gibt es den gerechten Krieg? (1982, Kap. 6) verteidigt habe, besagt, dass der Zweck einer humanitären Intervention schlichtweg darin besteht, das Töten zu beenden. Die Akteure beweisen, dass ihre Motive primär humanitär sind und dass ihr Verhalten nicht von imperialen Ambitionen gelenkt wird, indem sie so schnell wie möglich zugreifen, um die Mörder zu besiegen sowie die Opfer zu retten, und dann so schnell wir möglich wieder abziehen. Die Dinge danach zu schlichten, die Konsequenzen des Schreckens zu bewältigen, zu entscheiden, was mit den Tätern zu tun sei – das alles ist eigentlich nicht Aufgabe von Fremden. Die Leute, die immer schon da gelebt haben – wo auch immer »da« sein mag –, müssen die Chance bekommen, ihr gemeinsames Leben wiederaufzubauen. Die Krise, die sie gerade durchgemacht haben, darf kein Einfallstor für fremde Beherrschung werden. Die Prinzipien der politischen Souveränität und der territorialen Integrität gebieten die »Hinein, schnell hinaus«-Regel.
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Nun ist es notwendig, einen Staat buchstäblich ex nihilo zu erschaffen. Und das ist keine Aufgabe für einen kurzen Zeitraum.
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Es gibt jedoch drei Arten von Anlässen, in denen es unmöglich scheint, diese Regel anzuwenden. Der erste Anlass wird vielleicht am besten durch die kambodschanischen Killing Fields verdeutlicht, die so ausgedehnt waren, dass am Ende keine institutionelle, und vielleicht auch keine menschliche Grundlage mehr für einen Wiederaufbau vorhanden waren. Ich sage das nicht, um die Installation eines Satellitenregimes durch Vietnam zu rechtfertigen, sondern um die noch Jahre später für die UNO gegebene Notwendigkeit zu erklären, ein politisches System auf der Basis von lokaler Legitimität zu schaffen. Die UNO konnte oder wollte das Töten nicht beenden, als es tatsächlich stattfand, aber hätte sie es getan, so wäre der »Hinein, schnell hinaus«-Test kein Maßstab für ihren Erfolg gewesen. Sie hätte sich irgendwie um das Nachspiel des Mordens kümmern müssen.
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Der zweite Anlass wird am ehesten durch all jene Länder exemplifiziert – Uganda, Ruanda, Kosovo und andere –, wo das Ausmaß und die Tiefe der ethnischen Spaltungen es wahrscheinlich machten, dass das Töten weitergehen würde, sobald die eingreifenden Truppen abgezogen sind. Sollten die ursprünglichen Mörder nicht wieder ans Werk gehen, so wird die Rache ihrer Opfer genauso tödlich ausfallen. Hier ist »Hinein, schnell hinaus« eine arglistige Handlung, denn die juristische Tugend wird auf Kosten von politischer und moralischer Effektivität hochgehalten. Wenn jemand die Risiken einer Intervention in Ländern wie diesen auf sich nimmt, dann sollte er besser auch die Risiken einer Okkupation auf sich nehmen.
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Der dritte Anlass ist identisch mit dem, was ich weiter oben als Abweichung vom Standard bezeichnet habe: wo der Staat schlicht zerfallen ist. Es ist nicht so, dass die Armee oder die Polizei besiegt wären, sie existieren ganz einfach nicht mehr. Das Land ist in den Händen von Paramilitärs und Warlords – eigentlich sind das Gangs –, die kurzfristig unter Kontrolle gebracht wurden. Nun ist es notwendig, einen Staat buchstäblich ex nihilo zu erschaffen. Und das ist keine Aufgabe für einen kurzen Zeitraum.
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1995 habe ich in einem Artikel mit dem Titel »The Politics of Rescue« (Walzer 1995) argumentiert, dass die linken Kritiker von Protektoraten und Treuhandschaften ihre Position überdenken müssten, weil solche Arrangements manchmal das beste Ergebnis einer humanitären Intervention verkörperten. Die historische Erfahrung belegt, dass Schirmherren und Treuhänder, etwa im Rahmen des alten Völkerbundes, wieder und wieder an ihren Pflichten gescheitert sind; außerdem waren diese Arrangements nicht so temporär, wie sie eigentlich konzipiert wurden. Dennoch kann ihr Zweck zuweilen legitim sein, um einen Zeitrahmen zu öffnen und eine Art von politischer Arbeit zwischen dem Einmarsch und dem Abzug zu autorisieren. Dieser Zweck hebt nicht die Forderung auf, dass die eingreifenden Truppen auch wieder abzuziehen haben. Wir müssen über bessere Wege nachdenken, um sicherzustellen, dass dieser Zweck auch letztlich umgesetzt und alle Erfordernisse erfüllt werden. Vielleicht ist das ein Ort, an dem Multilateralismus eine zentralere Rolle zu spielen vermag als in den ursprünglichen Interventionen. Denn multilaterale Besatzungen werden eher nicht dem Interesse eines Einzelstaates dienen und deswegen auch nicht länger als notwendig aufrechterhalten werden. Die größere Gefahr besteht freilich darin, dass sie nicht lange genug aufrechterhalten werden: Jeder teilnehmende Staat wird nach einem Ausweg suchen, seine Truppen abzuziehen. Eine unabhängige UNO-Truppe, die durch die politischen Entscheidungen von Einzelstaaten weder gebunden noch behindert ist, mag dann als der zuverlässigste Schirmherr und Treuhänder fungieren – sofern wir sicher sein können, dass sie die richtigen Leute zur rechten Zeit schützen würde (zur möglichen Rolle der UNO vgl. Doyle 2001). Wann immer diese Versicherung nicht da ist, kehrt die rechtfertigbare Option des Unilateralismus erneut zurück.
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In jedem Fall brauchen wir immer noch ein Äquivalent für die »Hinein, schnell hinaus«-Regel, um zu erkennen, wann langfristige Interventionen ihren Endpunkt erreicht haben. Die angemessene Regel wird am besten durch eine Phrase ausgedrückt, die ich bereits benutzt habe: »lokale Legitimität«. Die eingreifenden Truppen sollten darauf abzielen, eine Form von Autorität zu finden oder zu etablieren, die mit der lokalen politischen Kultur zusammenpasst oder diese zumindest aufnimmt, und auf diese Weise Obrigkeiten zu schaffen, die von ihnen unabhängig sind, das Land regieren können und auf so viel Unterstützung aus dem Volk bauen können, dass ihre Regierung nicht auf massiven Zwang beruhen muss. Sobald diese Obrigkeiten an der Macht sind, ist es Zeit für die eingreifenden Truppen, abzuziehen: »hinein und letztlich wieder hinaus«.
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Das neue Regime muss weder demokratisch noch liberal noch pluralistisch und schon gar nicht kapitalistisch sein. Es muss überhaupt nichts außer nicht-mörderisch sein.
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Doch diese Formel mag genauso weltfremd klingen wie »Hinein, schnell hinaus«. Möglicherweise können fremde Truppen gar nicht die Arbeit leisten, die ich gerade beschrieben habe. Sie werden nur tiefer und tiefer in einen Konflikt hineingezogen, den sie niemals zu kontrollieren imstande sind, wodurch sie schrittweise den übrigen Gruppen ähnlicher werden. Diese Aussicht schreckt gewiss von einer Intervention ab; sie wird oft nicht nur die gut gemeinten Motive, sondern auch die imperialen Absichten potenziell intervenierender Staaten ausstechen. Es ist eine Tatsache, dass die meisten Länder, deren Bewohner verzweifelt einer Rettung bedürfen, jenen Staaten, die eine Rettung wagen würden, nur eine sehr geringe ökonomische oder politische Belohnung anbieten können. Man wünscht sich beinahe, die unlauteren Motive solcher Staaten würden auf plausiblere Ziele gelenkt, deren Verfolgung sie auf die Unternehmung verpflichten würde. Zugleich ist es aber wichtig, auf der Beschränktheit der Unternehmung zu insistieren: Sobald die Massaker und die ethnischen Säuberungen vorbei sind und die Machthaber ihre Wiederaufflammen abwenden können, ist die Intervention zu beenden. Das neue Regime muss weder demokratisch noch liberal noch pluralistisch und schon gar nicht kapitalistisch sein. Es muss überhaupt nichts außer nicht-mörderisch sein. Wenn eine Intervention in diesem minimalistischen Sinn verstanden wird, dann wird die Durchführung ein wenig leichter sein.
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Wie auch schon im Argument über die Anlässe suggeriert auch der Minimalismus der Beendigungen, dass wir sorgsam mit der Sprache der Menschenrechte umgehen sollten. Sofern wir nämlich die juristische Logik der Rechte (jedenfalls so wie diese Logik in den USA begriffen wird) zur Anwendung bringen, wird es für die eingreifenden Truppen sehr schwer werden, abzuziehen, bevor diejenigen Leute, die die Massaker und ethnischen Säuberungen organisiert haben, vor Gericht gebracht wurden und bevor ein neues Regime im Amt ist, das die gesamte Palette der Menschenrechte propagiert (für ein starkes Argument in diese Richtung vgl. Neier 1998). Wenn diese Ziele tatsächlich erreicht werden können, dann sollten sie natürlich auch erreicht werden. Aber eine Intervention ist ein politischer und militärischer, kein juristischer Prozess, weswegen sie Kompromissen und taktischen Verschiebungen ausgesetzt ist, die in die Domänen der Politik und des Militärs gehören. Deshalb werden wir öfters minimale Ziele benötigen, damit der Einsatz von Gewalt und die Zeitspanne, über die hinweg Gewalt ausgeübt wird, minimiert werden. Dennoch möchte ich betonen, dass wir ein klares Verständnis dessen brauchen, was eigentlich als »Minimum« gelten kann. Die eingreifenden Truppen müssen darauf vorbereitet sein, die Waffen, die sie tragen, auch zu benutzen, und sie müssen ebenso darauf vorbereitet sein, über einen langen Zeitraum im Land zu verbleiben. Die internationale Gemeinschaft muss deshalb Möglichkeiten finden, diese Truppen zu unterstützen – und sie außerdem überwachen, regulieren und kritisieren, denn was diese Soldaten tun, ist gefährlich und nicht immer gut.
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Schlussfolgerung
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Es wird nicht jedes Mal eine Intervention durchgeführt werden, wenn die rechtfertigenden Umstände es gebieten. Doch diese Erkenntnis ändert nichts an der Moralität der rechtfertigenden Regel.
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Ich habe versucht, mögliche Einwände gegen mein Argument zu beantworten, aber es gibt ein paar kritische Erwiderungen auf die zeitgenössische Praxis der humanitären Intervention, die ich hervorheben und ausdrücklich ansprechen möchte, selbst auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen. Einige Wiederholungen werden also meine Schlussfolgerung ausmachen. Ich wähle Edwards Luttwaks kritische Besprechung (2000) von Michael Ignatieffs Buch Virtual War als eine brauchbare Zusammenfassung jener Argumente, auf die ich zu antworten habe, denn sie ist kurz, scharfsichtig, zwingend und typisch. Ignatieff bietet eine stärker menschenrechtliche Begründung der humanitären Kriegsführung als ich, doch würde er gewiss zustimmen, dass nicht jede Rechtsverletzung »das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüll[t]« und dadurch militärische Interventionen rechtfertigt. Jedenfalls treffen Luttwaks Einwände auf uns beide – Ignatieff und mich – zu (oder eben nicht).
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Erster Einwand: »Die Vorschrift, dass X kämpfen soll, wann immer Y die moralischen und juridischen Rechte von X mit Füßen tritt, würde einen ewigen Krieg legitimieren.« Diese Behauptung scheint nicht mit Luttwaks späterer Behauptung zusammenzugehen, dass sich die Notwendigkeit, nicht nur unentwegt, sondern auch überall zu kämpfen, aus dem Faktum ableitet, dass es so viele Verletzungen von allseits anerkannten Normen gibt. Aber lassen wir das kurz beiseite. Wenn wir nur in Extremsituationen intervenieren, um Massenmord und Massendeportationen zu beenden, dann ist die Vorstellung, wir würden nur die Normen von X, nicht jedoch diejenigen von Y schützen, schlicht falsch. Possessivpronomen verändern in solchen Fällen nicht die Moral, und es gibt keine Serie verschiedener Moralitäten für jedes X oder Y der internationalen Gemeinschaft – der Beweis dafür ist die standardmäßig aufgetischte Lüge aller Mörder und »Säuberer«: Sie leugnen ihre Taten; sie versuchen nicht einmal, ihre Taten unter Verweis auf private Normen zu begründen.
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Zweiter Einwand: »Selbst ohne Bürgerkrieg, Massaker oder Verstümmelungen beinhaltet das absolut normale Funktionieren von Armeen, Polizeikräften und Bürokratien andauernd Erpressung, zuweilen Raub und Vergewaltigung und überall Unterdrückung.« All diese Untaten, so Luttwak, werden von den eingreifenden Truppen ignoriert. So ist es, und so soll es sein, denn sonst würden wir tatsächlich immer und überall kämpfen. Wir sollten jedoch anmerken, dass Luttwak nun vermutet, dass die Übel der Erpressung, Vergewaltigung und Unterdrückung nicht in den Bereich der privaten Normen von X oder Y fallen, sondern von jedermann erkannt werden können. Vielleicht geht er hier zu weit, denn zumindest die Erpressung durch Bürokratien hat verschiedene Bedeutungen und Wertigkeiten zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten. Aber die hauptsächlichen Handlungen auf seiner Liste sind tatsächlich furchtbar und werden gewöhnlich auch als furchtbar erkannt; nur sind sie nicht furchtbar genug, um eine militärische Invasion zu rechtfertigen. Ich denke nicht, dass meine Pointe so komplex ist, selbst wenn wir uns uneinig darüber sind, wo wir die Linie ziehen wollen. Pol Pots Killing Fields mussten stillgelegt werden, wenn nötig durch eine fremde Armee. Die Gefängnisse der eher gewöhnlichen Diktatoren der modernen Welt sollten auch geschlossen werden. Doch dies ist eigentlich Aufgabe der Untertanen.
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Da es in der Tat legitime Anlässe für humanitäre Interventionen gibt und da wir im Groben wissen, was zu tun ist, müssen wir darüber sprechen, wie es zu tun ist. Wir müssen über Akteure, Mittel und Beendigungen sprechen.
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Dritter Einwand: Luttwak fragt, »was es für die Moralität einer vermeintlich moralischen Regel bedeutet, wenn sie willkürlich, gegenüber einigen, aber nicht allen angewendet wird?« Die Antwort auf diese Frage hängt von der Bedeutung des Wortes »willkürlich« ab. Nehmen wir ein innerstaatliches Beispiel. Die Polizei kann nicht jeden Raser aufhalten. Wenn sie nur jenen nachstellen, die sie zu erwischen hofft, ohne sich oder andere zu gefährden, werden ihre Festnahmen durch »Auswahl und Ermessen determiniert« sein, was eine Bedeutung von »willkürlich« ist: doch diese Bestimmung untergräbt nicht die Gerechtigkeit von Geschwindigkeitsbegrenzungen. Wenn die Polizei auf der anderen Seite ausschließlich jenen nachstellt, deren Autoaufkleber ihr nicht gefällt, sodass Verkehrskontrollen ein Vorwand für die Belästigung politischer »Feinde« werden, dann entspringen ihre Handlungen bloßer »Willfährigkeit und Laune«, was eine andere Definition von »willkürlich« und tatsächlich ungerecht wäre. Die erste Art von »Willkürlichkeit« sollte humanitäre Interventionen auszeichnen (und tut dies tatsächlich auch oft). Sie beruhen tatsächlich auf Ermessen, und wir müssen hoffen, dass Klugheitserwägungen die Beratung über eine Intervention mitformen. Folglich wird nicht jedes Mal eine Intervention durchgeführt werden, wenn die rechtfertigenden Umstände es gebieten. Doch diese Erkenntnis, um hier Luttwaks Frage zu beantworten, ändert nichts an der Moralität der rechtfertigenden Regel. Es ist nicht unmoralisch, aus Gründen der Klugheit zu handeln oder nicht zu handeln.
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Diese drei Einwände beziehen sich zu Recht auf die Anlässe für Interventionen. Wenn die Anlässe nicht kohärent geklärt werden können, dann ist es auch nicht notwendig, die anderen Fragen, die ich aufgeworfen habe, zu behandeln. Meine eigenen Antworten können mit Sicherheit bestritten werden. Doch meine Hauptpointe besteht darin, dass die Fragen selbst nicht vermieden werden können. Da es in der Tat legitime Anlässe für humanitäre Interventionen gibt und da wir im Groben wissen, was zu tun ist, müssen wir darüber sprechen, wie es zu tun ist. Wir müssen über Akteure, Mittel und Beendigungen sprechen. Heute gibt es nicht wenige Leute, die diesen Argumenten aus dem Weg gehen und notwendige Handlungen auf die lange Bank schieben wollen. Diese Leute haben alle möglichen Gründe, doch keine davon scheinen mir gut oder moralisch zu sein.
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