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Mohammad Azadpur

Die Interpretation politischer Gewalt in der islamischen Philosophie

English
Summary

In this essay, I address the issue of violence in the Islamic political culture in a way that shifts the emphasis from the intellectual to the historical factors. I use the tradition of Islamic philosophy to thematize the intellectual dimension of Islam, and the shift I want to bring about presupposes an understanding of the tradition of Islamic political philosophy and its reflections on violence. After introducing the basic elements of Islamic political philosophy, I isolate two main trends whose focus is the relation between the good life and political activity. No matter which of these trends we investigate, we find some philosophers who advocate violence and others who condemn it. This demonstrates that there is no logical or cultural axiom that forces an appeal to violence in the context of Islamic political philosophy! The roots for the surge of violence in the Islamic world become visible when we refrain from seeking a theoretical basis for it in Islamic thought and attend to the specific historical contexts conditioning this appeal to violence. This conclusion has important implications for the current discussions of »Islamic terrorism.« It means, essentially, that we have to search long and hard for the appeal of political violence in the Islamic world – and, moreover, our search must be directed at concrete historical factors that might have occasioned such violence. This essay will conclude with some reflections on this direction of thought. 1

Inhalt

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1. Einleitung

Seyyed Hossein Nasr:
»Islam and the Question of Violence«.
In: Al-Serat: A Journal of Islamic Studies 13.2.
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1 Die tragischen Ereignisse des 11. Septembers 2001 und die Krisen im Mittleren Osten haben gleichzeitig den so genannten islamischen Terrorismus ins öffentliche Bewusstsein gerückt – und die Suche nach seinen Wurzeln angestoßen. »Terrorismus« ist, nach Noam Chomsky, nicht schwierig zu definieren. In »International Terrorism: Image and Reality« bezieht er sich auf ein »US-Feldhandbuch … [das] Terrorismus definiert als ›den kalkulierten Gebrauch von Gewalt oder Androhung von Gewalt, um Ziele zu erreichen, die politischer, religiöser oder ideologischer Natur sind. Dies wird durch Einschüchterung, Zwang oder Einflößen von Furcht in die Tat umgesetzt‹« (Chomsky 1991, 7). Chomsky verdeutlicht dies durch den Verweis auf »eine vom Pentagon in Auftrag gegebene Studie des bekannten Terrorismusforschers Robert Kupperman, die von der Drohung mit Gewalt oder der Ausübung von Gewalt spricht, ›welche versucht, politische Ziele ohne den vollständigen Einsatz vorhandener Ressourcen zu erreichen‹« (ebd.). Chomskys Artikel zielt auf die Problematik des umfassenden Charakters der Definition von »Terrorismus«, auf die Tendenz, einige der internationalen Einsätze der Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika in die Definition mit einzuschließen.
2 In diesem Essay möchte ich weder die Bandbreite der verschiedenen Arten von Terrorismus diskutieren noch die Bedeutung des »islamischen Terrorismus« erforschen, einem Etikett für die Aktivitäten von radikalen islamischen Gruppen, die auf einer politisch-ideologischen Basis gewaltsame und zerstörerische Aktionen gegenüber Unschuldigen durchführen. Ich möchte mich stattdessen auf ein grundlegenderes Thema konzentrieren: die Beziehung zwischen islamischem politischen Denken und politischer Gewalt als Konzept, das auch den Terrorismus umfasst. In der Darstellung des islamischen politischen Denkens beziehe ich mich hauptsächlich auf die islamische philosophische Tradition. Genauer gesagt, bin ich an der Frage interessiert, ob im islamischen Kontext eine notwendige innere Beziehung besteht zwischen philosophischen Reflexionen über das Wesen gesellschaftlichen Lebens und dem Aufruf zu Gewalt bzw. der Androhung ihrer Anwendung. Meine Position ist die, dass eine solche Beziehung nicht besteht und dass der Grund für die Neigung zu politisch motivierter Gewalt im islamischen Kontext anderswo gesucht werden muss.
3 Meine Argumentation zur Verteidigung dieser Position ist sehr direkt. Ich stelle zunächst zwei Hauptströmungen in der islamischen politischen Philosophie vor, deren Fokus sich auf die Beziehung zwischen dem guten Leben und gesellschaftlicher Aktivität richtet. Gleich welche dieser Strömungen wir untersuchen, wir finden einige Philosophen, die Gewalt vertreten und andere, die sie verdammen. Dies zeigt, dass es kein logisches oder kulturelles Axiom gibt, das den Aufruf zu Gewalt im Umfeld islamischer politischer Philosophie erzwingt! Die Wurzeln der Welle von Gewalt in der islamischen Welt werden sichtbar, sobald wir nicht mehr nach ihrer theoretischen Grundlage im islamischen Denken suchen und stattdessen die spezifischen historischen Zusammenhänge betrachten, die den Anreiz zur Gewaltanwendung bedingen. Diese Schlussfolgerung hat bedeutende Auswirkungen auf die aktuelle Diskussion zum »islamischen Terrorismus«. Im Wesentlichen bedeutet sie, dass wir gründlich und lange nach einem Aufruf zu politischer Gewaltanwendung in der islamischen Welt suchen müssen – und dass unsere Suche außerdem auf konkrete historische Faktoren gerichtet sein muss, die solche Gewalt hervorgebracht haben könnten. Dieser Essay wird mit einigen Reflexionen zu diesem Denkansatz schließen.

2. Islamisches philosophisches Denken

4 Der große Gelehrte des islamischen Denkens, Louis Massignon, sieht islamische Philosophie als Versöhnung der griechischen Philosophie mit dem abrahamitischen Monotheismus. Allerdings möchte ich zu Beginn dieser Diskussion betonen, dass die Griechen und Muslime ganz andere Vorstellungen von Philosophie haben, als sie von den heute gängigen Universitätsphilosophen vertreten werden. Für sie ist Philosophie nicht nur eine theoretische Erörterung von Begriffen verschiedener Untersuchungsgegenstände und ihre Argumentation. Sie ist vielmehr eine Lebens- und Seinsweise. In einer Die Erreichung des Glücks betitelten Abhandlung unterscheidet Alfarabi (Abū Nasr Muhammad al-Fārābī, 870-950), bekannt als zweiter Lehrer (nach Aristoteles) und Gründer der islamischen politischen Philosophie, zwischen wahrer Philosophie und ihrer Fälschung. Er schreibt:
Nasr Muhammad al-Fārābī
(870 – 950)
external linkBiographie
5 Was verstümmelte Philosophie angeht: Der nachgeahmte Philosoph, der eitle Philosoph, oder der falsche Philosoph ist derjenige, der beginnt, die theoretischen Wissenschaften zu studieren, ohne darauf vorbereitet zu sein. Denn derjenige, der Forschung beginnt, sollte eine angeborene Anlage dazu haben – d.h. er sollte die Bedingungen erfüllen, die Plato in der Politeia vorschreibt: er sollte sich durch Verständnis und Vorstellungskraft dessen auszeichnen, was das Wesentliche ist … Er sollte aus natürlicher Veranlagung Begierden verachten, Geld und Ähnliches. Er sollte hochgesinnt sein und vermeiden, was Menschen unwürdig macht. Er sollte fromm sein, bereitwillig Güte und Gerechtigkeit nachgeben und hartnäckig Bösem und Ungerechtem widerstreben. Und er sollte fest entschlossen sein, zum Rechten zu stehen. (Fārābī Happiness, 80)
6 Die Kultivierung und Verbesserung des Charakters stellt daher das Herzstück Alfarabis Begriffs von wahrer Philosophie dar. In der zeitgenössischen angloamerikanischen akademischen Philosophie stellt sie lediglich einen Aspekt in der Teildisziplin Ethik dar. Für die Griechen und die Muslime ebnet der Erwerb von Tugend (gr. aretē, arab. fadl), die Vervollkommnung des Charakters, den Weg für die geistigen Anstrengungen theoretischer Untersuchung. Sie erlauben dem Einzelnen, gegenstandsfremden Zielen und Ablenkungen zu widerstehen und sich auf die Probleme des Denkens und des Handelns zu konzentrieren. In den Worten Alfarabis zeichnet sich eine tugendhafte Person »durch das Verständnis und die Schau des Wesentlichen aus« (ebd.).

3. Zwei Strömungen in der islamischen politischen Philosophie

7 In der Politeia stellt der Sokrates des Plato ein Ideal – die tugendhafte oder gerechte Person – als den Philosophenkönig dar: Er ist eine Einzelperson, deren ausgebildete praktische und theoretische Empfindungen es ermöglichen, der letztgültige Gesetzgeber zu sein. Im Idealstaat wird Platos Philosoph aus seiner einsamen theoretischen Beschäftigung in die Regierungsarbeit des Staates einbezogen, weil er die geeignetste Person ist, um Recht und Unrecht im Gesetz zu unterscheiden. Seine Tugend ermöglicht es ihm, die Ordnung im Staat um der Gerechtigkeit willen aufrechtzuerhalten, die ihrerseits die Bürger in den Stand versetzt, ihre Tugendhaftigkeit zu verwirklichen. Frühe islamische Peripatetiker oder Mashshā'un (z.B. Alfarabi) setzen den Prozess der Versöhnung von griechischer und islamischer Tradition in Gang, indem sie dem griechischen Ideal des menschlichen Individuums die Qualität der Prophezeiung hinzufügen. 2 In anderen Worten, für sie ist der ideale Mensch nicht nur bloß Philosoph und Gesetzgeber (König); er ist auch ein Prophet (nabi).
Die islamischen Philosophen reagieren sie nicht eindeutig auf den Aufruf zu Gewalt bzw. die Androhung von Gewalt als Mittel zur Verwirklichung des idealen Staates. Dieser Sachverhalt scheint mir an sich ein gewichtiges historisches Faktum zu sein: Er untergräbt die Behauptung, dass es eine zwingende Verbindung zwischen islamischer politischer Philosophie und Gewalt gebe. 8 Dieser Zug (d.h. die Ergänzung der philosophischen Ideale und des Königtums durch die Eigenschaft des Prophetentums) zielt zum Teil darauf ab, das griechische Ideal in einen engeren Zusammenhang mit dem islamischen Vorbild zu bringen, dem Propheten Mohammed. Der Prophet hat nach der islamischen Tradition drei grundlegende Wesenheiten: walāyah (Freundschaft / enge Beziehung zu Gott), nubuwwah (Prophezeiung) und risālah (Verkündung des göttlichen Gesetzes) (vgl. Corbin 1993, 39-45). Für die islamischen Peripatetiker ist Philosophie das Analogon zu walāyah, denn die praktische und theoretische Vortrefflichkeit eines Philosophen rückt ihn in die Nähe der göttlichen Vernunft (vgl. Corbin 1993, 162-165). Nubuwwah gipfelt andererseits in der Praxis (tariqah), die der Prophet geübt hat, so dass der Gläubige durch ihre Befolgung das Ideal der engen Vertrautheit mit dem Göttlichen erreichen kann. Alfarabi bestimmt Prophezeiung noch weiter, um die allgemeineren Attribute des Propheten mitzuerfassen, d.h. die Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen und Visionen im Reich des Spirituellen zu haben. Für ihn ist Prophetie die perfektionierte Fähigkeit der Vorstellungskraft, die von der göttlichen Vernunft durchdrungen ist (Fārābī, Perfect State, 225). Schließlich ist der ideale politische Staat (madīnat al-fādilah) – nach den muslimischen Peripatetikern – so organisiert, dass er die Bürger so nahe an einen Zustand persönlicher Vortrefflichkeit bringt, wie dies nur irgend möglich ist. Er wird von der Scharia, dem göttlichen Gesetz, regiert, welches der Philosoph / der Prophet (unter Verwendung der risālah) mit dem Ziel erlässt, allen Mitgliedern der Gemeinschaft Vollkommenheit zu ermöglichen.
9 Einige islamische Philosophen betonen das Bemühen des Einzelnen um Vortrefflichkeit; für sie ist die Suche nach einem idealen Staat kein politisches Programm per se, sondern eher der Versuch, die Notwendigkeit einer gerechten (tugendhaften, fādil) Seele aufzuzeigen – und dazu zu motivieren, diese zu erlangen. Dies greift auf die Politeia zurück: Um zu definieren, was ein gerechter Mensch sei, erklärt Sokrates, dass es einfacher sei, Gerechtigkeit zuerst im Staat zu definieren, um dann, durch eine Analogie zwischen der Polis und dem Einzelnen, zu einer Definition von Gerechtigkeit im Menschen zu kommen. Sokrates' Strategie stimmt mit seiner späteren Behauptung überein, dass Gerechtigkeit erstrangig eine Eigenschaft von Personen und Charakteren sei, und nur in abgeleiteter Weise eine Eigenschaft von Gesetzen, des sozialen Gefüges der Polis oder der Beschaffenheit unserer Handlungen (Plato, Der Staat, 442a-445e). Obwohl die Stoßrichtung von Sokrates' Argumenten darauf abzuzielen scheinen, dass Glück nichts ist, was man berechnet und maximiert (es wohnt dem gerechten Leben inne), so kann man doch nicht verkennen, dass Polis und Bürgerschaft den Erfordernissen der persönlichen Vortrefflichkeit dienen. Noch deutlicher, die Anteilnahme in der Polis ist notwendig für das Erlangen von Tugendhaftigkeit, jedoch braucht der Einzelne nicht politisch aktiv zu werden, wenn er Tugendhaftigkeit erreicht hat. Im Gegenteil, er scheut die Stadt und sucht die fürs Philosophieren nötige Einsamkeit, und er muss schließlich zur Rückkehr gezwungen werden, um Führungsverantwortung zu übernehmen.
10 Im Gegensatz zu Platos Darstellung der Beziehung zwischen der tugendhaften Person und der Polis behauptet Aristoteles in seiner Politik, dass menschliche Wesen von Natur politisch oder sozial seien (Aristoteles, Politik, 1253a1-3). Aristoteles' tugendhafte Person pflegt – im Gegensatz zu Platos Modell – willentlich Freundschaften und beteiligt sich am politischen Leben. Es ist wichtig zu verstehen, dass sich die islamischen Philosophen in ihrem Bekenntnis zu politischem Aristotelismus oder Platonismus unterscheiden. Aber unabhängig von der Wahl ihres politischen Standpunktes reagieren sie nicht eindeutig auf den Aufruf zu Gewalt bzw. die Androhung von Gewalt als Mittel zur Verwirklichung des idealen Staates. Dieser Sachverhalt scheint mir an sich ein gewichtiges historisches Faktum zu sein: Er untergräbt die Behauptung, dass es eine zwingende Verbindung zwischen islamischer politischer Philosophie und Gewalt gebe.

4. Politische Platoniker und Gewalt

Abū 'Alī al-Husayn
Ibn Sīnā
(980 – 1037)
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11 Beginnen wir mit politischen Platonikern: Avicenna (Abū 'Alī al-Husayn Ibn Sīnā, 980-1037) zum Beispiel unterstützt die platonische Sicht, dass der tugendhafte Mensch die Begrenzungen des Politischen übersteigt und sich in abgeschiedenes intellektuelles Forschen vertieft, was in göttlicher Erleuchtung gipfeln kann (Avicenna, On the Proof, 114-115). Politische Gesetzgebung erfordert nach Avicenna die Exklusivität von göttlicher Weisheit (a.a.O., 116). Sie ist eine Tätigkeit, die der ideale Mensch zum Erhalt der elementaren Voraussetzungen ausübt, die zur Pflege der Tugend erforderlich sind (Avicenna, Healing, 99), und nicht ein notwendiger Bestandteil der Tugend selbst.
12 Obwohl Avicenna politischer Tätigkeit nur instrumentellen Wert zuspricht, schreibt er dennoch den Gebrauch von Gewalt als Mittel vor, um sicherzustellen, dass die bestmögliche Person in eine Machtposition eingesetzt wird, nämlich der Philosoph bzw. Prophet. In der Shifā argumentiert er:
13 … der Gesetzgeber muss dann in seinem Gesetz erlassen, dass, wenn jemand abfällt und auf der Basis von Macht oder Reichtum Anspruch auf das Kalifat erhebt, es zur Pflicht jedes einzelnen Bürgers wird, ihn zu bekämpfen und zu töten. Wenn die Bürger dazu in der Lage sind, es aber nicht tun, dann gehorchen sie Gott nicht und begehen einen Akt des Unglaubens. Das Blut eines jeden, der kämpfen könnte, es aber nicht tut, darf beliebig vergossen werden, nachdem dieses in der Versammlung aller festgestellt worden ist. (A.a.O., 107)
14 Allerdings schränkt er diese Befürwortung der Gewalt ein, indem er verlangt, dass ein Führer unabhängiges Urteilsvermögen haben muss, mit den edlen Eigenschaften von Mut, Mäßigung und verantwortungsvoller Führung versehen sein muss und die Gesetze besser kennen muss als jeder andere (ebd.). Für einen solchen Führer zu kämpfen (wenn wir ihn gefunden haben), mag gar nicht so schlecht sein, aber es ist für jede Person schwierig nachzuweisen, dass sie solche Führungseigenschaften besitzt. Wenn sie dies aber vermag, dann drängt Avicenna uns, seine Regel zu akzeptieren: »Wenn der Abtrünnige jedoch nachweist, dass derjenige, der das Kalifat innehat, dazu nicht taugt, dass er mit einem Fehler behaftet ist und dass der Abtrünnige diesen Fehler nicht hat, dann ist es das beste, dass die Bürger den Abtrünnigen akzeptieren.« (A.a.O., 110)
Abū Hāmid Muhammad al-Ghazzālī
(1058 – 1111)
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15 Der sunnitische Theologe und Philosoph Abū Hāmid Muhammad al-Ghazzālī (1058-1111) greift die frühen Peripatetiker (auch Avicenna) wegen ihrer uneingeschränkten Befürwortung der Macht der menschlichen Vernunft an. Er benutzt philosophische Argumente, die er dem Arsenal der griechischen Tradition der Skeptiker entlehnt, um die Reichweite der philosophischen Eigenschaft einzuschränken, die dem idealen Menschen zugesprochen wird. Ghazali argumentiert, dass der Intellekt (die bevorrechtigte Fähigkeit des Philosophen) keinen Zugang zur inneren Bedeutung der prophetischen Offenbarung leisten kann (zu einer Behandlung der Grenzen der menschlichen Vernunft vgl. Ghazzālī, Deliverance, 15). Er deutet Nähe zu Gott (walāyah) als das Erreichen praktischer Vortrefflichkeit – nach Art der Sufis (a.a.O., 54-63). Der ideale Mensch ist dann der Mystiker bzw. Prophet bzw. Gesetzgeber, und die Nachfolger sind die Sufis (in geistlichen Angelegenheiten), die Ulemā (in Fragen der religiösen Lehre) und die Kalifen oder die Sultane (in Fragen weltlicher Regierung).
16 Trotz seines Angriffs auf die Mashshā'ūn bleibt Ghazali der platonischen These vom Zusammenhang zwischen dem politischem Leben und der Entwicklung des Selbst treu. Politische Tätigkeit ist lediglich ein Mittel, persönliche Vortrefflichkeit und Erlösung zu erlangen; vielmehr muss nach Ghazali die politische Ordnung sogar dann aufrechterhalten werden, wenn der Staat und sein Regent ungerecht sind. In Ihyā ūlūm al-Dīn fordert Ghazali, dass »ein schurkischer und barbarischer Sultan notwendigerweise im Amt belassen werden muss und ihm Gehorsam zu leisten ist, solange er von militärischer Macht gestützt wird, so dass er nur mit großen Schwierigkeiten gestürzt werden kann und der Versuch, ihn zu stürzen, unerträgliches bürgerliches Leid mit sich bringen würde« (zit. nach Black 2001, 104). Das ist offensichtlich ein strenges Verbot der Anwendung von Gewalt (oder der Androhung ihrer Anwendung) für politische Zwecke.

5. Politische Aristoteliker und Gewalt

17 In seinem Werk Über den perfekten Staat übernimmt Alfarabi das platonische Ideal der tugendhaften Person, aber er versöhnt es mit der aristotelischen Haltung zur Stellung der politischen Tätigkeit in einem guten Leben – dem Leben der Tugendhaften. Nach Aristoteles sind, wie wir gesehen haben, Menschen von Natur aus politisch. Daher muss die tugendhafte Person auch die politische Dimension ihrer Seele pflegen und sie im politischen Leben üben – d.h. im Leben in der Polis. 3 Im gleichen Sinne geht Alfarabi davon aus, dass das Erreichen persönlicher Tugendhaftigkeit nicht der Gipfel des Glücks oder persönlicher Erfüllung (sa'ādah) ist. Vielmehr erfordert eine solche Erfüllung, dass man in einer tugendhaften Stadt (madīnah) wohnt, einer Stadt, in der bezüglich der Ausübung der Tugenden Zusammenarbeit an der Tagesordnung ist. Er schreibt:
18 Das vortrefflichste Gute und die größte Vollkommenheit werden zuallererst in einer Stadt erreicht, nicht in einer Gesellschaft, die weniger vollständig ist als diese. Da aber das wahre Gute durch Entscheidung und Wille erreicht werden kann und Böses ebenso aus Wille und Entscheidung herrührt, kann nur eine Stadt mit dem Ziel gegründet werden, ihre Bewohner zum Erreichen eines bösen Ziels zusammenarbeiten zu lassen. Folglich ist Glückseligkeit nicht in jeder Stadt erreichbar. So ist denn die Stadt vortrefflich, in der die Leute durch Zusammenschluss auf die Dinge hinarbeiten, durch die Glückseligkeit im wahren und echten Sinne erreicht werden kann. (Fārābī, Perfect State, 231)
19 Alfarabi lässt die platonische Sicht zu, dass Tugend, »äußerste Vollkommenheit«, eine Stadt erfordert, die als kleinste Einheit einer Zusammenarbeit alle Bedürfnisse der Gemeinschaft befriedigt. Allerdings schließt er auch den Aristotelismus ein, wenn er behauptet, dass »Glückseligkeit in ihrem wirklichen und wahren Sinne« nur in der vortrefflichen Stadt erreicht werden kann, durch die Ausübung von Vortrefflichkeit in einem politischen Zusammenhang (mit wechselseitiger Zusammenarbeit).
20 Im Hinblick auf den politischen Gebrauch von Gewalt lehnt Alfarabi Städte – als ignorant – ab, die unter Berufung auf die Gewalt als dem ersten Prinzip zur Herstellung von Ordnung und von Gehorsam gegenüber der Autorität gegründet werden. Er erklärt auch, dass reale Städte (nicht ideale) als friedliebend oder kriegstreiberisch eingeordnet werden können und dass die Bürger friedlicher Städte frei von jeglichem Ungesunden in ihrer Natur seien (a.a.O., 315).
Khāwjah Nasīr ad-Dīn al-Tūsī
(1201 – 1274)
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21 In der Nasireischen Ethik bestimmt der schiitische Philosoph und Theologe Khāwjah Nasīr ad-Dīn al-Tūsī (1201-1274) die Eigenschaften des philosophischen und politischen Ideals in typisch schiitischer Weise (hauptsächlich ismailitisch). Nach Tusi braucht man für den Abschluss von Verträgen, für die Organisation eines Reiches und für die Verwaltung einer Stadt einen Philosophen / Propheten / Gesetzgeber. Er nennt diese Person »den Inhaber des Gesetzes« (sāhib-e namūs) oder »den Sprecher« (nātiq). Außer der Verabschiedung von religiösen Gesetzen braucht jede Generation auch einen Philosophen / Herrscher, den »absoluten Regulator der Welt« (malik 'alā al-itlaq; auch als Imām oder Asās bezeichnet). Er schreibt:
22 Kurz gesagt, braucht nicht jedes Zeitalter und jede Generation einen Inhaber des Gesetzes, denn eine Inkraftsetzung genügt für die Menschen vieler Epochen; aber die Welt braucht in jedem Zeitalter einen Regulator, denn wenn die Organisation aufhört, ist auch die Ordnung aufgehoben und das Überleben der Art in der bestmöglichen Form kann nicht verwirklicht werden. (Tūsī, Nasirean Ethics, 192)
23 Tusi betont, dass die Perfektionierung der menschlichen Spezies Vorrang hat vor ihrem Überleben. Er sagt ferner, dass das Ziel der politischen Wissenschaft das Studium universeller Gesetze ist, die vom Nātiq erlassen und vom Asās aufrechterhalten werden. Der Zweck der Gesetze ist die Realisierung der »besten Interessen der Allgemeinheit, insofern sie durch Zusammenarbeit auf wahre Vollkommenheit ausgerichtet sind« (ebd.). Damit ist die Tugend oder Vollkommenheit gemeint, die ich bereits als konstitutiven Kern der islamischen und griechischen Philosophie angeführt habe. Aber Tusi macht sich, wie Alfarabi, die Position Aristoteles' zu Eigen und geht davon aus, dass der Mensch von Natur aus politisch ist. 4 In der gleichen Weise verficht er die Ansicht, dass der perfekte Mensch kein Einzelgänger ist (a.a.O., 242), sondern vielmehr eine Stadt, eine bürgerliche Gesellschaft benötigt. Er schreibt:
24 Da nun natürliche Gemeinschaft einer der Wesenszüge des Menschen ist und insofern die Vollendung einer jeden Sache in der Äußerungsform seiner Eigenschaften liegt …, so liegt auch die Vollendung der menschlichen Spezies in der Äußerung dieser Eigenschaft gegenüber seinen Artgenossen. Diese Eigenschaft ist zudem das Prinzip der Liebe, die zivilisiertes Leben hervorbringt, und die (gesellschaftliche) Synthese. (A.a.O., 199)
25 Tusis Sicht weicht von der des Aristoteles in der Weise ab, in der er die Eigenschaften charakterisiert, die der Mensch im zivilisierten Leben an den Tag legt. Aristoteles fasste Freundschaft als die vielleicht ursprünglichste Art auf, in der der Mensch seine politische Natur als tugendhafter Mensch äußert (Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1169b3-1170b20), während Tusi ein umfassenderes Attribut wählt: Liebe. »Liebe ist allgemeiner als Freundschaft, denn Liebe kann auch noch in einem brausenden Gedränge entstehen, während Freundschaft nicht diese Stufe von Durchdringung erreicht.« (Tūsī, Nasirean Ethics, 197)
26 Wenn ein König seine Sorge um Gerechtigkeit und das Gute aufgibt und »sich Freuden und Genusssucht hingibt …«, dann – so sagt Nasir ad-Din Tusi – »überkommen Verwirrung und Unfähigkeit die Geschäfte der Stadt …, Glückseligkeit wird zu Elend, enge Nachbarschaft wird zu Hass, und Zuneigung wird durch Abstand ersetzt …, [und] die Leute in einer solchen Zeit haben keine Möglichkeit, irgendwelche Güter zu erwerben« (a.a.O., 233). In solch einer Situation befürwortet Tusi politischen Aktivismus einschließlich des Gebrauchs von Gewalt; seine Zusammenarbeit mit Ismailiten von Alamūt und später mit Hūlāgū gegen den Abassiden-Kalifen bezeugt diese Haltung. Er schreibt: »Zu einer solchen Zeit wird es notwendig, wiederum (den Prozess der) Verwaltung aufzunehmen und den Imam der Wahrheit und den Gerechten König zu suchen.« (A.a.O., 233-234)
Abu Bakr Muhammad
ibn Bajjāh
(d. 1138)
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27 Der Andalusier Avempace (Abu Bakr Muhammad Ibn Bajjāh, gest. 1138) ist, wie Tusi, Aristoteliker hinsichtlich seiner Vorstellung der Beziehung zwischen dem vollkommenen Individuum und der Stadt. Er schreibt, dass »der Mensch von Natur aus politisch ist und … alle Vereinzelung von Übel ist.« (Avempace, Governance, 132) Allerdings unterscheidet er sich interessanterweise von Tusi: Er verlangt nicht die aktive Beteiligung an der Unterminierung der ungerechten Stadt und am Umsturz des Herrschenden, sondern er vertritt eher das Leben als Einzelner:
28 Wenn es ihnen möglich wäre, in diesen [ungerechten] Städten zu leben, so würden die Glücklichen doch nur das Glück eines Einzelnen empfinden, und die einzige [in diesen Städten mögliche] gerechte Herrschaft ist die des isolierten Einzelnen, solange eine Nation oder eine Stadt ihre Auffassung nicht übernommen haben, unabhängig davon, ob es nur ein isoliertes Individuum gibt oder mehrere. (A.a.O., 128)
29 Weshalb das gesellschaftsferne Leben in diesem Fall nicht von Übel sei, erklärt er so, dass Isolation
30 nur als solche schlecht ist; im Einzelfall kann sie gut sein … Zum Beispiel sind Brot und Fleisch wesensmäßig etwas Gutes und Nahrhaftes, während Opium und Bittergurke tödliche Gifte sind. Aber der menschliche Körper befindet sich gelegentlich in unnatürlichen Zuständen, in denen die beiden letzteren hilfreich sind und verabreicht werden müssen, während die natürliche Nahrung schädlich ist und vermieden werden muss. Allerdings sind solche Zustände notwendigerweise Krankheiten und Abweichungen von der natürlichen Ordnung. (A.a.O., 132-133)
31 In einem solchermaßen kranken Staat verschreibt Avempace Abgeschiedenheit als Medikament, mit dem die Übel der Ungerechtigkeit überwunden werden können. Dieses bedeutet natürlich die Ablehnung eines Gewaltaufrufs angesichts ungerechter politischer Bedingungen.

6. Einige moderne islamische Reflexionen über Gewalt

32 Seit dem 19. Jahrhundert hat der Ruf nach aktiver Beteiligung an der Überwindung von politischer Stagnation den politischen Diskurs prominenter islamischer Philosophen durchdrungen. In den Schriften von Personen wie Sayyid Jamāl ad-Dīn al-Afghānī (1837-97) und Muhammad Iqbāl (1877-1938) wird ein idealer islamischer Staat durch ein konkretes politisches Programm – die Anwendung von Gewalt eingeschlossen – befürwortet, um die schlummernden muslimischen Massen zu wecken und ihre Rechtschaffenheit und Aufklärung zu bewirken. Afghani argumentiert für die Einrichtung eines islamischen Staates als einer pragmatischen Lösung für die Misere der kolonisierten Muslime. Ein strikter islamischer Staat mobilisiert die muslimischen Massen und verleiht die notwendigen Wertvorstellungen, um mit den Europäern kulturell und wirtschaftlich konkurrieren zu können (vgl. Keddie 1968, 36-45). Für Iqbal andererseits gibt die Einrichtung eines islamischen Staates dem Einzelnen die Disziplin, mit der er dann aus der Enge von taqlīd (Nachahmen eines Vorbilds) ausbrechen und ijtihād (unabhängiges Urteilsvermögen) üben kann (Iqbāl 1965, 146-180).
Islamic Philosophy Online:
Dictionary - Map - Philosophers - Forum - Journal.
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33 Rūhollāh Khomeinis (1902-89) Begriff von der Herrschaft der Rechtsgelehrten (velāyat-e faqīh) ist ebenfalls ein Beispiel für die Aneignung des islamischen philosophischen Ideals durch ein bestimmtes politisches Programm. Khomeini argumentiert, dass die Rechtsgelehrten die wahren Repräsentanten des verborgenen Imam sind (Khomeini 1985, 82-84). In einer begrenzten Weise offenbaren sie sein walāyah, die Eigenschaft, die dem Imam die innere Bedeutung der Offenbarung vermittelt. Als solcher ist ein gerechter Rechtsgelehrter (faqīh) in Khomeinis aktivistischer Aneignung der philosophischen islamischen Tradition nicht nur die Autorität in religiösen und gesetzlichen Angelegenheiten; er ist auch der vollkommene politische Führer. Eine Regierung der Rechtsgelehrten ist nach Khomeini die einzige Regierung, die gerecht sein kann, d.h. sie kann die islamischen Ideale bewahren und Muslime aus dem Elend erheben, das ihre Unterdrücker über sie gebracht haben (a.a.O., 84). Weiterhin wird die Vollendung des unabhängigen Urteilsvermögens (ijtihād), das als Höhepunkt des juristischen Studiums angesehen wird, durch das bedeutendere, noch verbliebene politische Ziel der Aufrechterhaltung des klerikalen Regimes begrenzt. 5

7. Zusammenfassung

34 Abschließend möchte ich betonen, dass die Rechtfertigung von (gewaltsamem) politischem Aktivismus, die im modernen islamischen Denken so markant ist, nicht auf einer bestimmten theoretischen Orientierung innerhalb der gelehrten Tradition des Islams beruht. Wie wir im Blick auf die frühere Geschichte des politischen islamischen Denkens bemerkt haben, lassen verschiedene philosophische Positionen (hinsichtlich des Wesens des Politischen) widersprüchliche Interpretationen zum Gebrauch von Gewalt zu. Ihre Inanspruchnahme einer aktivistischen (Gewaltanwendung einschließenden) oder einer pazifistischen (gewaltlosen) Interpretation hat nichts mit den der Theorie innewohnenden Elementen zu tun – sondern beruht ausschließlich auf dem spezifischen historischen Zusammenhang und dem jeweiligen politischen Engagement des betreffenden Denkers. Nasir ad-Din Tusis Beteiligung an der mongolischen Invasion im Iran und am Umsturz des abbasidischen Bagdad war (wahrscheinlich) die Hauptmotivation für seine aktivistische Aneignung der aristotelischen politischen Philosophie (vgl. Dabashi 1996, 530-532). Avicennas Beteiligung an den politischen Aktivitäten der Buyiden-Könige und ihrer Manipulation des Kalifats motivieren meiner Einschätzung nach seinen Aktivismus. Ghazalis Pazifismus wird andererseits durch seine Verbindung mit dem Seldschuken-Hof und seiner Verurteilung des schiitischen Widerstands gegen die Herrschaft deren Sultane hervorgerufen (vgl. Watt 1985, 85-97). Alfarabi und Avempace vertraten den Pazifismus, wie ich meine, hauptsächlich wegen ihres Bekenntnisses zum kontemplativen Leben und wegen ihres fehlenden Interesses an politischer Intrige.
Konfrontiert mit verschiedenen Formen von Kolonialismus, Imperialismus und Totalitarismus finden sich verzweifelte Menschen in verzweifelten Situationen wieder. Es ist nicht überraschend, dass einige von ihnen zur Gewalt greifen. 35 Der Ruf zu gewaltsamem Widerstand in der modernen islamischen politischen Philosophie ist auch auf die spezifischen Interessen ihrer unterschiedlichen Autoren zurückzuführen. Jeder der oben erwähnten Denker war aktiv an der Errichtung einer neuen politischen Ordnung beteiligt. Afghanis politische Aktivitäten erstreckten sich auf den gesamten Mittleren Osten, von Indien über Afghanistan, Iran und die Türkei bis nach Ägypten. Er ist am besten bekannt für seine anti-britische Haltung, für sein Eintreten für einen pan-islamischen Staat und für seine Beteiligung an der Ermordung Nāsir ad-Dīn Schāhs (vgl. Keddie 1968, 30-32). Iqbals politische Aktivitäten hinsichtlich der Errichtung eines separaten muslimischen indischen Staates ließen seine Anhänger den posthumen Titel »der geistige Vater Pakistans« für ihn prägen (Kurzman 1998, 255). Khomeinis Verurteilung der Pahlavi-Dynastie fand ihren Höhepunkt in seiner Übernahme der Führung Irans im Jahre 1978 (vgl. Algar 1985, 13-23).
36 Was daran faszinierend ist, ist vielleicht nicht so sehr die philosophische Legitimierung der politischen Gewalt, die von diesen Denkern angeboten wird, sondern eher die heute relativ große Popularität dieser Interpretationen bei einigen Muslimen. Diese Popularität hat nichts mit dem behaupteten Ansteigen der Gewalt in der islamischen Kultur zu tun; wie wir gesehen haben, schwankt die philosophische Tradition zumindest zwischen der Unterstützung von Gewalt und dem Eintreten für Gewaltfreiheit. Ich würde stattdessen argumentieren, dass die Anziehungskraft von Gewalt auf die Massen der modernen islamischen Welt direkt proportional ist zum Grad der tyrannischen Unterdrückung. Konfrontiert mit verschiedenen Formen von Kolonialismus, Imperialismus und Totalitarismus finden sich verzweifelte Menschen in verzweifelten Situationen wieder. Es ist nicht überraschend, dass einige von ihnen zur Gewalt greifen.
Übersetzung aus dem Englischen von Michael Schemmerling.

polylog. Forum für interkulturelle Philosophie 5 (2004).
Online: http://them.polylog.org/5/fam-de.htm
ISSN 1616-2943
© 2004 Autor & polylog e.V.

Literatur

Anmerkungen

1
Eine leicht unterschiedliche englische Fassung dieses Artikels wurde veröffentlicht in: The Journal of Scriptural Reasoning 5.1. Online: http://etext.lib.virginia.edu/journals/ssr/. go back
2
Nach Aristoteles sind ethische Grundregeln nicht abstrakte moralische Prinzipien (wie in der modernen Moralphilosophie vorherrschend); vielmehr werden sie durch Vorbilder vorgegeben, durch den spoudaios oder den phronimos, d.h. den in praktischen Dingen klugen Mann (vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1140a25-28, 1143b21-25). go back
3
Zur Verteidigung der Behauptung, dass Aristoteles' Politik, oder zumindest wesentliche Teile davon, Alfarabi bekannt waren, siehe Pines 1975, 150-160. Muhsin Mahdi meint, dass das Hauptziel von Alfarabis Anstrengungen in On the Perfect State und Political Regime politisch ist. Er behauptet, dass diese Texte »Vorbilder [sind], die zukünftigen Gesetzgebern Richtlinien für die Gründung neuer Städte geben. Vorbilder dieser Art … sind kunstvolle Schöpfungen der Lehrer von Gesetzgebern, mit einem Blick für allgemeine Gewohnheiten, Eigenschaften, Auffassungen und Bedingungen, die der Gesetzgeber noch weiter anpassen wird, im Hinblick auf eine bestimmte Stadt unter bestimmten Bedingungen« (Mahdi 2001, 123). Dieses ist eine interessante Interpretation, die die aristotelische Dimension von Alfarabis Philosophie offenbart, derzufolge die madīnah als notwendig gilt für die Ausübung von Vollkommenheit. go back
4
Nasir ad-Din Tusis politisches Denken verrät eine beachtliche Vertrautheit mit Aristoteles' Politik. Vgl. Black 2001, 149. go back
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Dieser Zwang hat seitens der Kleriker, die zum inneren Kreis der Macht des heutigen Iran gehören, immer wieder Aufrufe zur Gewalt und die Androhung von Gewalt gerechtfertigt. go back

Autor

Mohammad Azadpur (*1964 in Kerman, Iran) ist Assistenzprofessor für Philosophie an der San Francisco State University; er lehrt dort seit 2003. 1986 erhielt er seinen B.A. in Englischer Literatur an der Bucknell University, 1993 seinen M.A. in Philosophie an der University of Pittsburgh. 1999 wurde er an der University of Virginia im Fach Philosophie promoviert, mit einer Dissertation über Experience Conceptualized: Between the Myth of the Given and Coherentism. Seine Arbeitsgebiete sind islamische Philosophie, Ethik und Ästhetik.
Prof. Dr. Mohammad Azadpur
San Francisco State University
Department of Philosophy
1600 Holloway Avenue
San Francisco, CA 94132
USA
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