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Eske Wollrad

Der Weißheit letzter Schluss

Zur Dekonstruktion von »Weißsein«

Fragebogen:
Leben Sie in einem vorwiegend weißen Viertel?
Hatten Sie jemals eine intime Beziehung mit einer weißen Person?
Reaktion einer weißen Studentin:
»Aber das ist doch ein Fragebogen für Farbige!«

Die »Weißen« und die »Anderen«

Wie funktioniert Weißsein als Organisationsprinzip von sozialen Beziehungen? Welche Kräfte reproduzieren die Konstruktion von Weißsein als Leere und Fülle? Wie kann Weißsein dekonstruiert werden? 1 Aus weißer Sicht ist Weißsein normal, gewöhnlich und so banal, dass es keiner Erwähnung bedarf. Ist von einem »Wohnviertel« die Rede, handelt es sich »natürlich« um ein weißes Viertel, und das wissen wir, weil es niemand benennt. Der Hinweis, ein Liebespaar sei weiß, ist völlig überflüssig – was sagt das schon aus?
2 Weißsein hat keinen spezifischen Inhalt, es markiert eine Leerstelle und kann – wenn überhaupt – nur negativ über das definiert werden, was es nicht ist: nicht exotisch, nicht sexuell, nicht farbig. »Farbig« sind nur die »Anderen«, die im Verlauf europäischer Rassialisierungsprozesse ausgiebig beschrieben, vermessen, gewogen und bewertet wurden – von Weißen. Seit seiner Erfindung ist Weißsein sowohl außerhalb des Paradigmas »Rasse« verortet und damit »aparadigmatisch« 1 als auch seine logische Voraussetzung, da es Weiße waren, die »Rassen« erschufen und sich gleichzeitig außerhalb ihrer Erfindung positionierten, um – gleichsam aus der Sicht Gottes – die Welt der »Farbigen« zu studieren.
3 Diese Positionierung verband sich seit Beginn der Moderne mit der Konstruktion von Weißsein als Signatur des Menschseins selbst, der Zivilisation, Schönheit, Intelligenz, Selbstkontrolle und Rationalität, um der Unterwerfung und Ausbeutung der »Anderen-Minderen« Plausibilität zu verleihen. Weißsein bezieht also seine Wirkmächtigkeit aus der Dialektik von Leere und Fülle, aus der Gleichzeitigkeit von Nichts und Allem, von Allgegenwart und diskursiver Abwesenheit.
4 Feministische Theoretikerinnen haben vor langer Zeit damit begonnen, die Norm des Mann-Seins zu kritisieren und die Kategorie »Geschlecht« als gesellschaftlich hergestellt zu analysieren, allerdings ging nicht selten damit die Reproduktion anderer Normen einher, zum Beispiel der des Weißseins. Übersehen wurde häufig, dass geschlechtlich hergestellte (gendered) Körper auch immer gleichzeitig rassialisierte sind. Die Herausforderung besteht nun meines Erachtens nicht nur im Benennen von Weißsein, sondern vorrangig in der Auseinandersetzung mit seinen Implikationen: Wie funktioniert Weißsein als Organisationsprinzip von sozialen Beziehungen? Welche Kräfte reproduzieren die Konstruktion von Weißsein als Leere und Fülle? Wie kann Weißsein dekonstruiert werden? Dieser Beitrag knüpft an die letzte Frage an und beschreibt – wenn auch nur fragmentarisch – Weißsein als Produkt von Zuschreibungen und Praxen, als flexible Signatur, die unterschiedlichen Körpern eingeschrieben werden kann und auf der Handlungsebene ihre Macht entfaltet. Mit anderen Worten: Es geht um Bedingungen von Weiß-Werden und Weiß-Bleiben.

Ich sehe was, was du nicht siehst … – Weiß werden

»Ich kann nur ›sehen‹,
was ich schon weiß.«

Klaus Schubert
(Anm. 2)
5 Unterscheiden zu können, wer weiß ist und wer nicht, scheint keiner großen Anstrengung zu bedürfen. Ein Blick genügt, und die Einordnung ist vollzogen. Dieser Art Markierung von Körpern über die Optik gehen ideologische Zurichtungsprozesse voraus, in deren Verlauf von eben diesen Körpern abstrahiert werden muss – eine sich je nach Situation und Gemütsverfassung blässlich, rötlich oder bräunlich verfärbende Haut als »weiß« zu bezeichnen, stellt eine ungeheure Abstraktionsleistung dar. Der kategorisierende Blick ist somit ein ideologisch hergestellter, der nur sehen kann, was er schon »weiß«, nämlich erstens, dass es »Rassen« gibt, dass sich zweitens die gesamte Weltbevölkerung in wenige »Rassen« unterteilen lässt und diese drittens mit Hilfe von Farbkategorien beschrieben und bewertet werden können. Sind diese Postulate erst einmal als »Wissen« angeeignet, stellt sich der rassialisierende Blick »ganz natürlich« her.
Die ideologische Zurichtung verschleiert, dass es sich bei Weißsein um einen politischen Begriff handelt, der nichts mit Hautfarbe oder bestimmten phänotypischen Merkmalen zu tun hat. 6 Die ideologische Zurichtung verschleiert, dass es sich bei Weißsein um einen politischen Begriff handelt, der nichts mit Hautfarbe oder bestimmten phänotypischen Merkmalen zu tun hat; vielmehr muss Weißsein im Feld von Rassialisierungsprozessen, von fortwährenden (Re-)Produktionen des Konstrukts »Rasse«, angesiedelt werden, deren Ziel es ist, die Privilegien einer gesellschaftlichen Gruppe gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen zu legitimieren. Wer zur privilegierten Gruppe der Weißen gehört, ist Verhandlungssache und von den je spezifischen sozioökonomischen Bedingungen einer historischen Situation abhängig. Weißsein ist somit kein festgelegter Bestandteil von Körper und Identität, den die Person nie verlieren kann, vielmehr kann es – sogar im Verlauf einer individuellen Biographie – aufgezwungen, verloren oder erkämpft werden. Zwei Beispiele aus dem 19. und 20. Jahrhundert illustrieren die Flexibilität von Weißsein. 3
7 Europäische »Rasse«-Forscher des 19. Jahrhunderts sahen sich mit der ärgerlichen Tatsache konfrontiert, dass die Pyramiden in Ägypten liegen. Ärgerlich war es deshalb, weil »Rasse«-Theorien behaupteten, Afrikaner und Afrikanerinnen wären zu keiner Intelligenzleistung fähig, die Pyramiden aber gerade Ausdruck sehr hoher Intelligenz waren. Wie konnte dieser Widerspruch gelöst werden? Anstatt rassistische Theorien zu revidieren, machten die »Rasse«-Forscher kurzerhand alle Ägypter zu Weißen: Sie seien eigentlich der »kaukasischen Rasse« zuzuordnen, die »natürlich« über die mathematische Genialität verfügte, die Pyramiden zu schaffen. Nur die niederen Arbeiten seien von Schwarzen ausgeführt worden. 4 Das Weißmachen der ägyptischen Bevölkerung ermöglichte die ideologische Abtrennung Ägyptens von Afrika und die Aufrechterhaltung der Lüge von der weißen Überlegenheit.
8 In Deutschland gilt seit jeher die Gleichsetzung von Deutschsein mit Weißsein, sie geriet jedoch während des deutschen Kolonialismus ins Wanken: Etliche weiße deutsche Kolonialisten heirateten indigene Frauen und hatten Kinder mit ihnen, das heißt, diese Frauen und ihre Kinder waren nach dem Gesetz deutsche Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen. Die Reichsregierung empfand das als Skandal, und so wurde zum Beispiel in »Deutsch-Südwestafrika« (Namibia) 1905 flugs ein »Mischehenverbot« ausgesprochen und alle zuvor geschlossenen Ehen annulliert, denn durch die Anerkennung der Existenz Afro-Deutscher »wird nicht nur die Reinhaltung deutscher Rasse und Gesittung hier, sondern auch die Machtstellung des weißen Mannes überhaupt gefährdet«. 5 Den weißen deutschen Männern, die mit schwarzen Frauen verheirateten waren, wurden sämtliche bürgerlichen Ehrenrechte (Wahlrecht, Recht auf Erwerb von Grundbesitz und auf staatliche Hilfen) aberkannt, und man schloss sie vom gesellschaftlichen Leben der Kolonie aus. Die »Machtstellung des weißen Mannes« hatten sie damit verloren – sie waren nun weniger als weiß.
9 Die Proteste gegen die Annullierungen führten dazu, dass die Kolonialregierung über Alternativen nachdachte: Wenn schwarze Deutsche als deutsche Staatsangehörige gelten sollen, Deutschsein aber Weißsein beinhaltet, dann könnte man »Farbigen, welche nach Erziehung, Lebenshaltung und Charakter es verdienen, die Eigenschaft eines Weissen« 6 verleihen. In einigen Fällen, so die Historikerin Fatima El-Tayeb, wurde auch so verfahren: Afro-deutsche Ehefrauen und ihre Kinder wurden zu »Weißen ehrenhalber«. 7

Aufführungen von Weißsein – Weiß bleiben

»Eine der unterdrückendsten Arten, wie Weißsein den Körper der/des ›Anderen‹ markiert, ist der Blick.«

Raka Shome
10 Wenn Weißsein etwas ist, das ich weder »habe« noch »bin«, sondern es instabiles Produkt von Kämpfen auf den Bedeutungsfeldern von Rassekonstruktionen ist, wenn die Körper beliebig sind, »Erziehung, Lebenshaltung und Charakter« aber ebenso eine Rolle spielen wie sich verschiebende politische Konjunkturlagen, dann erscheint Weißsein als fragiler Besitz, den es zu verteidigen gilt. Diese Verteidigungen artikulieren sich auf der Handlungsebene – als doing race – und können die verschiedensten Formen annehmen.
»Jemanden andern« und »Geanderte« sind Begriffe, die deutlich machen, dass es sich bei den »Anderen« um Konstruktionen handelt. 11 Eine sehr verbreitete Form ist die Partizipation am kollektiven Verschweigen von Weißsein und der Verweigerung, sich selbst und nicht nur »Andere« innerhalb einer rassialisierten Gesellschaft zu positionieren. Bemerkungen wie »Ich sehe mich nicht als Weiße. Ich mag überhaupt diese ganzen Etikette nicht.« sind Aufführungen von Weißsein eben über seine diskursive Vermeidung. Aufführungen von Weißsein als Verschweigen von Weißsein können auch darin bestehen, nur die »Anderen« zu markieren und abzuwerten – durch rassistische Bemerkungen und Witze beispielsweise. Schließlich gibt es noch Aufführungen von Weißsein, die es explizit als Inbegriff von Überlegenheit und Reinheit fantasieren. Das geschieht vorwiegend in rechtsextremistischen Gruppen und ist häufig mit physischer Gewalt gegen die als »nicht-weiß« Konstruierten verbunden.
12 Ein ebenso beredter wie machtvoller Bereich, wo Weißsein aufgeführt wird, ist der des Nonverbalen. »Weißsein operiert in einer ›politisch korrekten‹ (p.c.) Kultur des geschlossenen Multikulturalismus und hat sehr wohl gelernt, seine Sprache in P.C.-Vokabular zu tarnen, aber das Nonverbale verrät noch den heimtückischen Rassismus, der in seiner Interaktion mit den ›Anderen‹ lauert.« 8 Der indischen postkolonialistischen Theoretikerin Raka Shome zufolge ist es vor allem der weiße Blick, der weder Neutralität noch Offenheit ausdrückt, sondern zu den gewaltsamsten Aufführungen von Weißsein gehört: »Eine der unterdrückendsten Arten, wie Weißsein den Körper der/des ›Anderen‹ markiert, ist der Blick.« 9 Weiße Menschen »heißen dich willkommen, aber durch die Art, wie sie dich anschauen, fühlst du dich, als sei dein ganzer Körper zur Untersuchung und Musterung bereit gestellt. […] Es ist fast so, als ob sie meinen Körper nach Differenz abjagen«. 10
13 Mit der Markierung des »geanderten« 11 Körpers, der Taxierung auf Differenz negiert der weiße Blick sein Gegenüber als Subjekt. Dass Willkommen-Heißen und ein weißer objektivierender Blick sehr wohl zusammengehen, bestätigt die arabisch-deutsche Kulturkritikerin Nicola Lauré al-Samarai. Sie nennt diesen weißen Blick sarkastisch den »Solidaritätsblick« und meint damit die plumpe Vertraulichkeit, die ihr völlig unbekannte Weiße an den Tag – oder genauer: in den Blick – legen, der augenzwinkernd zu sagen scheint: »Gut, dass du da bist, Schwester.« 12
14 Dabei ist der »Solidaritätsblick« an spezifische Räume gebunden und für bestimmte Gelegenheiten reserviert: Podiumsdiskussionen zu »Multikulturalität«, Gospel- oder Jazz-Konzerte und Wahlveranstaltungen der Grünen. Hier sollen die als »nicht-weiß« Konstruierten anwesend sein, funktionalisiert als (Re-)Präsentationen ultimativer Differenz, die der weiße Blick sogleich zu erkennen vermeint. Das visuelle Abtasten des geanderten Körpers ist im Grunde ein nach innen gewendeter Blick, der voller Entzücken die eigene Offenheit und Toleranz betrachtet, nicht aber den eigenen Körper als rassialisierten und die eigene Wahrnehmung als in einen Herrschaftskontext eingebundene reflektiert.
15 Der objektivierende weiße Blick setzt voraus, dass es – per definitionem – keinen Blick zurück geben kann: Das Objekt wird betrachtet – das Subjekt betrachtet. Die Analysen von Shome und al-Samarai provozieren, weil sie zwei grundlegende Mythen von Weißsein entschleiern: erstens, dass Weißsein unsichtbar ist, und zwar für alle, nicht nur für Weiße, und zweitens die Verknüpfung von Weißsein und Unschuld.
»Weiße Menschen waren nicht immer ›weiß‹ noch werden sie immer ›weiß‹ bleiben. Es ist eine politische Allianz. Die Dinge werden sich ändern.«

Amoja Three Rivers
16 Der erste Mythos erinnert an kleine Kinder, die sich »verstecken«, indem sie sich die Augen zuhalten und damit meinen, nur weil sie nicht sehen, auch andere sie nicht sehen. Für Weiße besteht das Skandalon in der Konfrontation mit dem Faktum, dass so genannte »Nicht-Weiße« schon immer Weiße als Weiße markiert und analysiert haben, weniger aus wissenschaftlichem Interesse, sondern aus Überlebensnotwendigkeit. Shome schreibt: »Weiße […] sind häufig überrascht und wütend, wenn sie herausfinden, dass ihre alltäglichen ›normativen‹ Operationen des Weißseins oft gründlich durch ›Andere‹ markiert werden.« 13 Diese Markierungen »von außen« sind nicht nur wegen ihres Inhalts wichtig, sondern auch deshalb, weil sie die Setzung von Weißsein als Gewöhnliches, Nicht-zu-Erwähnendes, Allgemein-Menschliches durchbrechen und Weißsein erfassen, als das, was es ist: partikular, spezifisch, fremd.
17 Der zweite Mythos verknüpft Weißsein mit Unschuld, welche allein durch die Beteuerung der Betrachtenden zu bewiesen zu sein scheint, sie oder er habe gute Absichten verfolgt. Es scheint, dass Konstellationen von Dominanz und Unterwerfung durch bloßen guten Willen aufgehoben werden können – es sei gemein, dem willkommen-heißenden Blick objektivierende Absichten zu unterstellen, wo er doch gut gemeint sei. Solche Stimmen beanspruchen selbstverständlich die diskursive Abtrennung des wohlmeinenden Ichs von den Strukturen, die dieses Ich überhaupt erst ermöglichen: Konstruktionen des weißen Selbst als eben »nicht-weiß«, als aparadigmatisch und verortet jenseits von Rassialisierungsprojekten.

Etwas ganz anderes sein – Verrat als Widerstand

»Verrat an Weißsein bedeutet Loyalität gegenüber der Menschlichkeit/ Menschheit
[humanity].«

Noel Ignatiev
18 Weiße Menschen waren nicht immer ›weiß‹ noch werden sie immer ›weiß‹ bleiben. Es ist eine politische Allianz. Die Dinge werden sich ändern. 14
19 Die Dinge werden sich in dem Maße ändern, wie es gelingt, Weißsein in seiner Verwobenheit mit anderen normativen Konstruktionen zu benennen und zu analysieren, wobei diese Positionierung innerhalb der »Matrix der Dominanz« 15 nicht Fixierung bedeutet, sondern auf einem Verständnis von Weißsein als hergestellt (Weiß werden) und immer wieder neu herzustellend (Weiß bleiben) beruht. Ein solcher Zugang ist erstens kontextuell, weil berücksichtigt wird, dass Weißsein sich unter historischen Bedingungen, in spezifischen Räumen und politischen Verhältnissen je unterschiedlich konstituiert und auch innerhalb eines Bezugsrahmens wechselnde Bedeutungen annehmen und wechselnden Körpern eingeschrieben werden kann. Zweitens eröffnet dieser Zugang Handlungsfelder, die angebliche Kohärenz des weißen Selbst zu destabilisieren, denn wenn Weißsein von Aufführungen »lebt«, dann sind auch Gegen-Aufführungen möglich, die Illoyalität gegenüber Funktionsweisen weißer Vorherrschaft bekunden. Einige kritische Weißseins-Forscher sprechen von »Verrat« als effektivster Widerstandshandlung: »Verrat an Weißsein bedeutet Loyalität gegenüber der Menschlichkeit/Menschheit [humanity].« 16
20 Verrat an Weißsein impliziert die Abkehr von der stillschweigenden Übereinkunft, Weißsein weder zu thematisieren noch zu problematisieren. Verrat besteht in dem Benennen von bisher Verschwiegenem, in der Markierung von Weißsein als fremd und partikular. Er ist allerdings wenig effektiv, wenn sich die Markierung auf individuelles Handeln beschränkt. Meines Erachtens hat Verrat seinen Ort in der Praxis bündnispolitischer Arbeit, das heißt in der Zusammenarbeit mit jenen Geanderten, die über die nötige Expertise zum Thema »Weißsein« verfügen. Tendenzen, die kritische Auseinandersetzung mit Weißsein auf einen elitären Diskurs innerhalb akademischer Disziplinen zu beschränken und damit die Frage nach effektivem antirassistischen Aktivismus auszublenden, sind in US-amerikanischen Forschungsrichtungen bereits sichtbar geworden und gehen häufig mit der erneuten Ausgrenzung jener einher, die traditionell über das Fachwissen zu Weißsein verfügen und es sich nicht leisten können, die Dekonstruktion von Weißsein als bloße intellektuelle Herausforderung zu begreifen. Zu ihnen gehört die afrikanisch-amerikanische Schriftstellerin Alice Walker. Sie betont, dass Positionierungen nicht statisch, sondern maßgeblich durch Handeln bestimmt sind und dass auch Weiße die Möglichkeit haben, etwas ganz anderes zu sein:
21 Doch jetzt könnt ihr, durch euer Verhalten, etwas ganz anderes sein. Dann habt ihr einen neuen Namen. Welchen? Wie wird er lauten? 17
polylog. Forum für interkulturelle Philosophie 4 (2003).
Online: http://them.polylog.org/4/cwe-de.htm
ISSN 1616-2943
Quelle: external linkpolylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren 8 (2001), 77-82.
© 2003 Autorin & polylog e.V.

Anmerkungen

1
Vgl. Ross Chambers (1997): »The Unexamined«. In: Mike Hill (ed.): Whiteness: A Critical Reader. New York – London, 189. go back
2
Klaus Schubert (1989): Kognitive Strukturbildungsprozesse und soziokulturelle Evolution. Eine empirische Untersuchung am Beispiel der Entwicklung von Farbbegriffssystemen. Frankfurt/M. – Bern – New York – Paris, 40. go back
3
Zu weiteren Beispielen zu Konstruktion von Deutschen als Nicht-Weiße aus dem 18. und 19. Jahrhundert vgl. Eske Wollrad (1999): Wildniserfahrung. Womanistische Herausforderung und eine Antwort aus Weißer feministischer Perspektive. Gütersloh, 273f. go back
4
Vgl. Martin Bernal (1987): Black Athena. The Afro-Asiatic Roots of Classical Civilization, Bd. I. New Brunswick, 241. go back
5
Gouverneur Friedrich von Lindequist (Deutsch-Südwestafrika) an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts, 23.10.1905, zit. nach: Fatima El-Tayeb (2001): Schwarze Deutsche. Der Diskurs um »Rasse« und nationale Identität 1890-1933. Frankfurt/M., 93. go back
6
Gouverneur Friedrich Seitz an das Reichskolonialamt, 17.11.1913, zit. nach Tayeb 2001, 97. go back
7
A.a.O., 98. go back
8
Raka Shome (1999): »Whiteness and the Politics of Location: Postcolonial Reflections«. In: Thomas K. Nakayama / Judith N. Martin (eds.): Whiteness. The Communication of Social Identity. London – New Delhi, 121. go back
9
Ebd. go back
10
Shome 1999, 121. go back
11
»Jemanden andern« und »Geanderte« sind Begriffe, die deutlich machen, dass es sich bei den »Anderen« um Konstruktionen handelt. Zum Begriff »othering« vgl. Toni Morrison (1992): Playing in the Dark. Whiteness and the Literary Imagination. New York, x. go back
12
Persönliche Gespräche mit Nicola Lauré al-Samarai, Berlin, Frühjahr 2001. go back
13
Shome 1999, 123. Das englische Wort operations kann mit »Tätigkeiten« übersetzt werden, birgt aber auch die Assoziationen zu chirurgischen Eingriffen und militärischen Operationen. Um diese Bedeutungsfelder einzubeziehen, habe ich »Operationen« übersetzt. go back
14
Amoja Three Rivers, zit. nach: David R. Roediger (1998): Black on White. Black Writers on What it Means to Be White. New York, 1. go back
15
Patricia Hill Collins (1990): Black Feminist Thought. Knowledge, Consciousness, and the Politics of Empowerment. New York, 225ff. go back
16
Noel Ignatiev (1996): John Garvey, Race Traitor. New York – London, 10. go back
17
Alice Walker, in: Larry Bensky (1992): »Telling Secrets: An Interview with Alice Walker«. In: San Francisco Focus, September 1992, 75. go back

Autorin

Eske Wollrad ist feministische Theologin und Kulturtheoretikerin mit einem Arbeitsschwerpunkt »Black Theology« und arbeitet am Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Oldenburg. Im September 2002 gründete sie das Europäische Forschungsforum zu Weißsein und Geschlecht als Pilotprojekt an der Universität Oldenburg. Für ihre Dissertation zu schwarzer feministischer Theologie, publiziert unter dem Titel Wildniserfahrung. Womanistische Herausforderung und eine Antwort aus Weißer feministischer Perspektive (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1999) erhielt sie 2002 den Förderpreis der schweizerischen Marga-Bührig-Stiftung.
Dr. Eske Wollrad
Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg
Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung
D-26111 Oldenburg
FAX: +49 (441) 798 58 69
emaileske.wollrad@uni-oldenburg.de
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